Schulze: „Das ist Missmanagement“

von Redaktion

München – Bayerns Staatsregierung feiert sich für ihre Corona-Strategie und sucht den Grund für die hohen Infektions-Zahlen in der Grenznähe des Freistaats. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze sagt indes im Interview, die Regierung trage selbst Schuld am Corona-Dilemma.

Frau Schulze, die Corona-Karte zeigt: Hotspots sind oft in Grenznähe. Liegt es da nicht auf der Hand, dass Infektionen nach Bayern eingeschleppt werden?

Das ist Markus Söders platte und eindimensionale Erzählung. Aber ich muss klar widersprechen: Wir haben auch abseits der Grenze hohe Inzidenzwerte. Nürnberg Stadt liegt bei über 300, Augsburg Stadt leicht drunter, der Kreis Main-Spessart bei 270. Na gut, er ist in Grenznähe, aber nur an der Grenze zu Hessen, wo die Inzidenzen übrigens niedriger sind. Söder macht es sich zu einfach, wenn er immer wieder sagt: Das Böse kommt von außen. Das ist spalterisch und unwahr. Das Virus kennt keine Grenzen, es wandert aus Bayern ein, wie es auch wieder heraus wandert.

Aber das Superspreader-Event in Ischgl hat doch gezeigt, wie schnell das Virus eingeschleppt wird…

Deshalb ist klar, dass wir in Europa zusammenarbeiten müssen, um das Virus in den Griff zu bekommen. Aber Söder widerspricht sich doch selbst: Im Sommer wollte er die Menschen noch nach Bayern in den Urlaub locken, jetzt sind es die Urlauber, die schuld an der zweiten Welle sein sollen. Söder sollte lieber seine Hausaufgaben machen.

Was kreiden Sie der Staatsregierung konkret an?

Sie hat es in acht Monaten Pandemie nicht geschafft, die Zahlen so zu senken, dass wir eine funktionierende Nachverfolgung haben. Die Gesundheitsämter haben zu wenig Personal, nur eines nutzt die Software SORMAS zur Nachverfolgung von Kontakten, eins von über 70! Bei 75 Prozent der Infektionen können wir nicht sagen, wo sie herkommen. Wo sind die Studien, die Aufschluss über Infektionsherde geben? Aufs Ausland zeigen, ist wohlfeil.

Ist der Sommer verschlafen worden?

Klares Ja. Die Regierung hat es verpennt, das Land auf die absehbare zweite Welle im Herbst vorzubereiten. Von den versprochenen zehn Millionen Antigen-Schnelltests, die in Altenheimen helfen würden, sind gerade mal eine Million an die Kreisverwaltungsämter ausgeliefert worden. An den Schulen fehlen FFP2-Masken für Lehrerinnen und Lehrer. Die hätte man im Juli bestellen können, passiert ist nichts. Ich sage: Das ist Missmanagement. Söder verkauft sich lärmend als Krisenmanager, von den großen Ankündigungen bleibt aber zu wenig. Das nächste Debakel ist schon im Anmarsch. Söder baut massiv Impfzentren auf – aber eine Informationsinitiative, die auch Skeptikern zeigt, warum impfen sinnvoll ist, sehe ich nicht.

Dafür wird übers Skifahren debattiert. Was halten Sie vom Streit mit Österreich?

Es ist richtig, dass wir alle unsere Kontakte massiv reduzieren müssen. Die Infektions-Zahlen im ganzen Alpenraum sind so hoch, dass ich mir Skifahren kaum vorstellen kann. Es lässt sich nur schwer dafür argumentieren, wenn so viel anderes verboten ist.

Im Grundsatz tragen die Grünen die Strategie der Staatsregierung mit. Ist es nicht auch wohlfeil, nur auf Söder zu zeigen?

Wir haben viele Vorschläge gemacht, die die Staatsregierung zu spät oder gar nicht aufgegriffen hat. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum Schulkinder ab Klasse 8 erst ab 200er-Inzidenz in den Wechselunterricht gehen sollen. Besser wäre es, die älteren Klassen gingen bis Weihnachten komplett in den Wechselunterricht und der Kultusminister würde das ausnahmsweise mal landesweit gut organisieren.

Da sind sie vielleicht näher bei Söder als dessen Koalitionspartner Hubert Aiwanger, der gerne schneller lockern würde…

Auch er verkündet als Wirtschaftsminister ständig Maßnahmen und kommt bei der Umsetzung nicht hinterher, denken Sie an die lange verschleppten Hilfen für Veranstalter, die Gastronomie und unsere Künstlerinnen und Künstler. Ich würde sagen: Er hat sich stets bemüht. Aber wir sind im achten Monat der Pandemie, da erwarte ich, dass gewisse Dinge funktionieren.

Baden-Württemberg verschärft die Silvester-Regeln: Feiern nur zu fünft. Sollte Bayern nachziehen?

Ich plädiere für kleine Feiern, vielleicht mit fünf statt zehn Personen. Denn 2020 war kein Grund zum Feiern. Den haben wir hoffentlich wieder im Sommer 2021, wenn wir die Pandemie bis dahin gemeinsam in den Griff bekommen.

Interview: Marcus Mäckler

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