Das Doppelleben des EU-Abgeordneten

von Redaktion

Wegen eines Sexskandals muss ein enger Orbán-Vertrauter sein Mandat aufgeben

München – Die Geschichte delikat zu nennen, wäre eine maßlose Untertreibung. Es geht um Sex und um Drogen, um Macht und ihren Missbrauch. Und um die Doppelmoral, die hinter all dem steckt. Am Sonntag hat der ungarische EU-Abgeordnete Jozsef Szajer sein Mandat nach 16 Jahren aufgegeben. Er begründete seinen Schritt mit den zunehmenden seelischen Belastungen durch die Tagespolitik. Was er nicht erwähnte, war der Sexskandal, in dessen Zentrum er steht.

Zwei Tage zuvor hatten belgische Polizisten in Brüssel eine Privatparty beendet, deren Lautstärke die Nachbarn auf den Plan gerufen hatte. Die Beamten trafen rund zwei Dutzend Personen an, überwiegend männlich und überwiegend nackt. Einer der Gäste versuchte noch, an einer Regenrinne hinunter zu klettern, er soll einen Rucksack getragen haben, aber nur wenig Kleidung. Dieser Mann stellte sich als Jozsef Szajer heraus. Ihm drohen ein Bußgeld wegen der Corona-Verstöße und Ermittlungen wegen Drogenbesitzes. In seinem Rucksack hatte die Polizei Ecstasypillen gefunden. Szajer sagt, die müsse ein Unbekannter platziert haben.

Die Affäre hätte wohl kleinere Wellen geschlagen, wenn es sich bei dem Ertappten um einen namenlosen Hinterbänkler gehandelt hätte. Dass auch ein Diplomat aus Estland auf der Party war, beschäftigt nur die Öffentlichkeit in seiner Heimat.

Szajer (59) jedoch ist in der ungarischen Politik ein Schwergewicht. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der regierenden, nationalkonservativen Fidesz-Partei und galt als enger Vertrauter von Premier Viktor Orbán. Vor allem aber ist er Architekt einer Verfassungsreform und hat maßgeblich eine Politik geprägt, die Homosexuelle diskriminiert. Mittlerweile ist es ihnen in Ungarn fast unmöglich, Kinder zu adoptieren.

Hinter der bürgerlichen Fassade – Szajer ist mit einer Verfassungsrichterin verheiratet und hat eine Tochter – führt er offensichtlich ein Leben, das er in seiner Heimat so nicht toleriert. Neben dem Vorwurf der Scheinheiligkeit ist er nun vor allem mit dieser Kritik konfrontiert: dass er im liberalen Brüssel Freiheiten nutzt, die Homosexuelle in Ungarn nicht zuletzt seinetwegen nicht kennen.

Premier Orbán distanzierte sich umgehend vom langjährigen Vertrauten und nannte dessen Verhalten „inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen“. Wegen des Streits um den Rechtsstaatsmechanismus ist Ungarn in der EU gerade massiv unter Druck. In heimischen Medien wurde prompt die These aufgestellt, die Affäre sei von ausländischen Geheimdiensten – konkret: dem deutschen – eingefädelt worden, um Ungarn zu isolieren. Der Täter als Opfer. Auch diese Inszenierung darf in so einer Geschichte nicht fehlen. MARC BEYER

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