Reformer Frankreichs und Vorkämpfer Europas

von Redaktion

Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing im Alter von 94 Jahren gestorben – An Covid-19 erkrankt

Paris – Vor fast 40 Jahren verließ er die Macht. Seitdem hatten die Franzosen ihren früheren Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing ein wenig vergessen. Der Zentrumspolitiker brachte in den unruhigen 1970er-Jahren Reformen wie die Lockerung der Abtreibungsgesetze oder die Senkung des Wahlalters auf 18 Jahre auf den Weg. Der Absolvent der Eliteschmiede ENA kämpfte zugleich für die Einigung Europas und stärkte die deutsch-französische Freundschaft. 2003 erhielt er für seine europäischen Verdienste den Karlspreis der Stadt Aachen. Jetzt verstarb der Altpräsident in seinem Haus im zentralfranzösischen Département Loir-et-Cher an den Folgen von Covid 19.

Wenn er auf seine Amtszeit von 1974 bis 1981 zurückblickte, sprach VGE – wie er in seiner Heimat oft genannt wird – von einem „Goldenen Zeitalter“ zwischen Frankreich und Deutschland. Mit Kanzler Helmut Schmidt konzipierte er das Europäische Währungssystem, den Rahmen für die währungspolitische Zusammenarbeit der Partnerländer. Daraus entwickelte sich später der Euro.

Der hochgewachsene Franzose mit dem aristokratischen Auftreten gehörte zu den Weltpolitikern, die in Schmidts Privathaus am Neubergerweg im Hamburg-Langenhorn eingeladen wurden.

Beide zogen auf internationalem Parkett am selben Strang. So standen der Chef der Atommacht Frankreich und der kantige SPD-Kanzler für die Gründung der Gipfeltreffen der großen Wirtschaftsmächte. Zunächst traf man sich im Format der sogenannten G6: Auf Schloss Rambouillet bei Paris kamen die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien und den USA erstmals 1975 zusammen.

Giscard wurde am 2. Februar 1926 in Koblenz im damals französisch besetzten Rheinland geboren. Er war Wirtschafts- und Finanzminister, bevor er nach dem Tod von Präsident Georges Pompidou mit 48 Jahren ins höchste Staatsamt gewählt wurde. Damals setzte er sich nur mit knapper Mehrheit gegen seinen Widersacher François Mitterrand durch. Der Sozialist bezeichnete seinen Rivalen aus großbürgerlichem Haus ironisch als „alten jungen Mann“.

Als Präsident setzte Giscard in der unruhigen Zeit nach der Revolte von 1968 weitreichende gesellschaftliche Reformen durch. So brachte er ein Gesetz zur Scheidung „im gegenseitigen Einvernehmen“ auf den Weg. Er habe Frankreich modernisieren wollen, „ohne mit seiner Vergangenheit zu brechen“, bilanzierte der liberale Politiker einmal.

Mit seinen geschliffenen Manieren und einer Vorliebe für die Jagd wirkte er gelegentlich sehr weit von seinen Mitbürgern entfernt. „Er hat die politische Kommunikation revolutioniert, ist aber paradoxerweise damit gescheitert, von den Franzosen geliebt zu werden“, bilanzierte „Le Parisien“. Die Zeitung erinnerte daran, wie er zu Weihnachten Müllmänner zum Frühstück in den Élyséepalast einlud.

Von 2002 an führte Giscard den EU-Reformkonvent, der zur Erneuerung der EU einen Verfassungsentwurf vorlegte. Mit dem Nein von Franzosen und Niederländern bei Volksabstimmungen 2005 scheiterte das Vorhaben jedoch.

Er verfasste mehrere Bücher, auch den Roman „Die Prinzessin und der Präsident“. Darin erzählt er, wie ein französischer Präsident namens Jacques-Henri Lambertye mit Prinzessin Patricia von Cardiff anbandelt. Der Roman ist reich an Anspielungen – ganz Paris spekulierte, ob VGE eine Affäre mit Prinzessin Diana hatte oder nur reich mit Fantasie gesegnet war. C. BÖHMER/R. KRÜGER

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