München – Keine Woche ohne Aufreger, das gilt hier so sehr wie in Österreich. Als Kanzler Sebastian Kurz am Mittwoch davon sprach, dass Reiserückkehrer im Sommer ein Drittel aller Corona-Infektionen ins Land „hineingeschleppt“ hätten, echauffierten sich das Netz und, ganz analog, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Er sprach von „mangelnder Sensibilität“. Kurz hatte insbesondere Menschen verantwortlich gemacht, „die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben“.
Inzwischen hat der ÖVP-Politiker klargestellt, nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch Auslandsösterreicher und Urlauber gemeint zu haben. Am Inhalt der Aussage ändert das aber nichts. Kurz bezog sich auf eine Statistik der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages), der zufolge es zwei Sommerwochen gab, in denen ein Drittel der Infektionen auf Balkan-Rückkehrer zurückgingen. Bei „Bild live“ sagte der Kanzler, das sei „keine Schuldzuweisung, sondern schlicht und ergreifend die Realität“.
Dass Reiserückkehrer das Virus einschleppen, ist gut dokumentiert und immer wieder Anlass für Diskussionen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ließ es zuletzt sogar auf einen mittelschweren Streit mit Wien um Skiurlaube ankommen. Ihn trieb die Angst, bei offenen Pisten könnte sich das Geschehen von Ischgl wiederholen. In dem Tiroler Skiort hatten sich Anfang des Jahres Touristen beim Après-Ski infiziert und das Virus dann in ganz Europa verteilt.
Winter und Sommer, Ischgl und der Balkan. Das sind Fixpunkte der Diskussion – auch in Deutschland. Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zeigen klar, warum.
Ein erster Höhepunkt der Infektionen im Ausland war im März erreicht, in Kalenderwoche elf (9. bis 15. März). Damals steckte sich mit 46 Prozent knapp die Hälfte derjenigen Infizierten, die einen Infektionsort nennen konnten, im Ausland an. Gerade waren die ersten Infektionen in Ischgl bekannt geworden. Im nächsten RKI-Bericht war Österreich das meistgenannte Infektionsland.
Erste Reisebeschränkungen wurden erlassen und der Effekt war bald spürbar. Der Anteil der Auslandsinfektionen sank bis auf einen Tiefstand von 0,4 Prozent Anfang Mai. Als Deutschland am 15. Juni seine Grenzen wieder öffnete, stieg laut RKI „der Anteil der Fälle mit Angabe eines wahrscheinlichen Infektionslandes im Ausland wieder an“. Der neue Höhepunkt – 49 Prozent – lag in Kalenderwoche 34 (17. bis 23. August), mitten in den Sommerferien. Wichtig ist, die Unschärfe zu beachten. In vielen Fällen, zuletzt sogar bei der Hälfte aller Infektionen, fehlen die Angaben zum Infektionsort.
Auffällig ist dennoch, dass die deutsche Entwicklung im Sommer mit der in Österreich korreliert. Auch dort lag die Zahl der Auslandsinfektionen in den Kalenderwochen 33 bis 35 besonders hoch, gerade bei Rückkehrern aus dem Westbalkan, Kroatien mitgerechnet. In Kalenderwoche 33 kamen 504 von 1441 Neuinfektionen aus der Region.
Die Ages betont, dies seien rein geografische Angaben, die keine Rückschlüsse auf die Nationalität der Infizierten zuließen. Gleiches gilt für deutsche Angaben. In der RKI-Statistik für August rangieren Kroatien, Balkanländer wie Kosovo und Bosnien-Herzegowina sowie die Türkei bei den wahrscheinlichen Ansteckungsorten weit vorn. Allein das Kosovo wurde in den Kalenderwochen 31 bis 34 mehr als 2500 Mal genannt. Ob die Leute dort Urlaub machten oder ihre Familien besuchten, lässt sich nur vermuten. Für Bayern gilt Gleiches. Neu ist inzwischen: Infektionen im Ausland spielen derzeit kaum mehr eine Rolle. MARCUS MÄCKLER