München – Die Herren stehen nebeneinander vor den Kameras, ihr Ton ist höflich. Aber der Inhalt hat es in sich. „Die Öffnungsperspektive ist für mich ganz klar der 11. Januar“, sagt Hubert Aiwanger einmal, zweimal, dreimal. Dann wolle er wieder Einkaufen, Essen gehen, Skifahren. „Das ist mein Wunsch.“ Markus Söder neben ihm verzieht keine Miene. Aber sagt: „Entscheidend ist nicht, was wir wollen, sondern was wir tun müssen.“ Er sei „Realist und nicht einfach nur Optimist“, sagt Söder. Und: „Wer die Gesundheit vernachlässigt, schädigt die Wirtschaft.“
Der Auftritt vom Nikolaustag hallt nach in der Koalition, zumal Söder seinen Minister einen „Lobbyvertreter für die Wirtschaft“ nennt – aus seinem Mund klingt das mehr nach Staubsaugervertrieb als nach Staatsminister. Vor den Kameras kaschieren die Koalitionäre mühsam: Es gibt enormes Konfliktpotenzial zwischen Söders CSU und Aiwangers Freien Wählern im Umgang mit dem Virus. Der Wirtschaftsminister sagt, nur „zähneknirschend“ trage er die Verschärfung mit. Söder kontert kühl, das zentrale Wort sei „mittragen“.
Söder verfolgt seit März einen strikten Kurs in der Corona-Krise, im Zweifel für Kontakt-Reduktion. Aiwanger streitet kraft Amtes für offene Betriebe. Teilnehmer schildern zähe Runden per Telefon am Samstag und per Video im Kabinett am Sonntag, um das zusammenzubringen. Es klappt, weil der Handel vorerst nicht angetastet wird. Und weil die Kurswende an den Schulen sich auf Wechselunterricht und die achte Klasse aufwärts beschränkt.
Sachfragen also. Im Hintergrund hat der Konflikt zwischen den Partnern aber mehr Dimensionen. Es geht um PR und Umfragen, weil seit Frühjahr die Werte für Söder und die CSU nach oben schossen, für die Freien Wähler aber sanken. Zuletzt ermittelte Sat1 für die CSU 46 Prozent, für die FW 6 (Landtagswahl 2018: 37/10). Es geht auch um politische Verantwortung, denn es häufen sich Vorwürfe an das FW-geführte Kultusministerium, die Digitalisierung der Schulen im Sommer vertrödelt zu haben.
Hinzu kommt: Eine exakte Haltung der Freien Wähler gibt es gar nicht, sie sind eine traditionell heterogene Partei. Ihr Fraktionschef fordert einen harten, schnellen Lockdown, während ihr Parteichef über Öffnung spricht.
Seit 2018 gelang es Söder und Aiwanger, Konflikte zu überbrücken. Selten waren es ideologische Fragen, meist Alltagsprobleme, wenn etwa Aiwanger sich auf CSU-Feldern wie Landwirtschaft zu forsch einmischte. Nun könnte es zum Jahresende doch unangenehm werden. Söder spricht nämlich bereits von der nächsten Verschärfung.
Falls die Corona-Zahlen nicht sinken, rechnet er mit einer Debatte über einen Komplett-Lockdown nach Weihnachten: Kontaktsperre und dann Schließung des Einzelhandels, insbesondere der erlebnisorientierten Einkaufszentren. Demnächst wird ein Leopoldina-ad-hoc-Papier dazu als Grundlage erwartet, auch in Berlin gibt es laut „Bild“ schon geheime Pläne dazu, alles außer Supermärkten zwischen 28. Dezember und 3. oder 10. Januar zu schließen. Derzeit sei man „in der vorletzten Stufe, die man machen kann“, sagt Söder. Aiwanger macht deutlich, dass er keine weitere Stufe mittragen will und auch bei Zahlen jenseits der 50er-Inzidenz auf Lockerungen beharrt.
Heute im Landtag wollen die Freien Wähler das bekräftigen, wenn sie auf Söders Regierungserklärung antworten. „Wir dürfen es nicht dabei belassen, Verschärfungen mit Angst zu begründen“, sagt ihr Fraktionsmanager Fabian Mehring. Er verlangt Perspektiven für Freiheit und Normalität. „Wir brauchen einen konkreten Exit-Plan für Bayern, der nach wissenschaftlichen Kriterien festlegt: Wenn durch diszipliniertes Mitmachen am 11. Januar eine bestimmte Inzidenz erreicht wird, dann folgen auch konkrete Lockerungen.“