Brüssel – Angela Merkel gehört nicht zu den Menschen, die mit Erfolgen prahlen. Wenn sie hochzufrieden mit dem Ergebnis einer extrem mühsamen Verhandlungsrunde ist, sagt die Bundeskanzlerin Sätze wie: „Das war ein hartes Stück Arbeit.“ Oder: „Dafür hat es sich auch gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen.“ So ist es auch, als sie am Freitagmorgen nach mehr als 21 Stunden hartem Ringen beim letzten EU-Gipfel unter deutscher Ratspräsidentschaft übermüdet vor die Journalisten tritt.
Das Lob überlässt Merkel den beiden Mitstreitern neben ihr. „Was für eine Präsidentschaft!“, jubelt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und Ratspräsident Charles Michel würdigt, dass die Kanzlerin sich „total eingebracht und mobilisiert hat, die Ärmel hochgekrempelt hat, mit Kreativität, mit viel Entschlossenheit und Willen und mit einem unerschütterlichen Engagement für Europa“.
So sehr allen dreien die Erleichterung an diesem trüben Dezembermorgen in Brüssel anzumerken ist – die ermüdenden Marathonverhandlungen stecken ihnen in den Knochen. Und nicht nur das: Die ganzen sechs Monate im EU-Vorsitz waren für Merkel eine Art Dauerkrisenmanagement.
Es begann mit einem Kraftakt im Juli, als die Staats- und Regierungschefs tatsächlich vier Tage und Nächte im Brüsseler Europagebäude zusammengepfercht waren, bis der Haushalt für die nächsten sieben Jahre stand – ein beispielloses Finanzpaket von 1,8 Billionen Euro einschließlich 750 Milliarden Euro gegen die Corona-Rezession.
Schon damals wurde das Paket als großer Erfolg gefeiert. Allerdings: zu früh. Denn die im Juli verabredete Klausel gegen Rechtsstaatsverstöße erboste Ungarn und Polen so, dass sie mit ihrem Veto die gesamten 1,8 Billionen Euro blockierten. Nur nach einem typisch Brüsseler Kompromiss – einer Zusatzerklärung, die prompt jeder in seinem Sinne auslegte – lenkten die beiden Staaten ein.
Merkel persönlich hatte daran gehörigen Anteil, in tagelanger Kleinarbeit und mit einer Mischung aus Locken und Drohen brachte sie den Ungarn Viktor Orban und den Polen Mateusz Morawiecki auf Linie. So ist es auch ihre größte Errungenschaft im EU-Vorsitz, dass dieses riesige Finanzpaket in der Corona-Krise nicht auf Eis bleibt, sondern tatsächlich in absehbarer Zeit Geld fließen kann.
Aber der Haushaltsstreit ist auch das perfekte Beispiel, warum die EU so unendlich mühsam sein kann: Ist das Ziel nur wichtig genug, können ein, zwei Abweichler die Gemeinschaft mit ihren Sonderinteressen quälen. So geschehen auch beim zweiten großen Beschluss des Gipfels, der Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030 auf mindestens minus 55 Prozent bei den Treibhausgasen im Vergleich zu 1990. Polen drohte wieder mit einem Veto und sicherte sich so in einer endlosen Nachtsitzung zusätzliche Garantien für Finanzhilfen und mehr Mitsprache bei der Energiewende.
Unter dem Strich stehen nun aber zwei Erfolge, mit denen Merkel die Bilanz ihrer Ratspräsidentschaft, die am 31. Dezember endet, erst einmal gerettet hat. Bei einem dritten Mega-Thema steht am kommenden Sonntag der Showdown an. Dann soll sich entscheiden, ob die EU und Großbritannien den Brexit mit einem Handelspakt in geordnete Bahnen lenken können. Dabei hat allerdings von der Leyen die Federführung.
Einige Themen sind für die deutsche Präsidentschaft bereits erfolglos abgehakt und aufgehoben für die Nachfolger. Vieles von dem, was man sich vorgenommen habe, sei nicht umgesetzt worden, räumt Merkel selbst ein.
Etwa bei der Migration. Zwar hat die EU-Kommission Vorschläge für eine Asylreform gemacht. Eine Einigung zwischen den 27 Mitgliedstaaten ist aber nicht in Sicht.
MICHAEL FISCHER/ VERENA SCHMITT-ROSCHMANN