Madrid – „Alles wieder viel besser hier“, so begrüßt eine Frau aus Madrid freudig ihren Bekannten, den sie zuletzt Ende August gesehen hat. Früher als in Deutschland rollte damals die zweite Corona-Welle in Spanien an, bis Anfang November stieg die Zahl der Neuinfektionen auf über 240 je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen.
Die Behörden reagierten mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die aber nie so drastisch waren wie das, was Deutschland jetzt bevorsteht. Früher als in Deutschland sanken die Zahlen auch wieder, der Sieben-Tage-Wert betrug nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Dienstagabend gut 98 – zwar gerade wieder mit leicht steigender Tendenz – aber in Deutschland liegt der Wert weit höher bei 180.
Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez warnte seine Landsleute sogleich vor einer möglichen Verschärfung der Maßnahmen gegen Corona, sollten die Zahlen auch in den kommenden Tagen weiter steigen.
Vorerst aber genießen viele Spanier die relative Freizügigkeit. Wer an den Wochenenden vor Weihnachten durch die Innenstadt von Madrid geht, traut seinen Augen kaum. Trotz der Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen und Obergrenzen bei der Anzahl der Besucher in Gaststätten, Geschäften, Kinos, Theatern und Museen sind an den Wochenenden vor Weihnachten in den Innenstädten Madrids oder Barcelonas Massen von Menschen unterwegs.
An der Puerta del Sol im Zentrum Madrids bahnt sich ein Elektro-Polizeiauto ganz langsam einen Weg durch die Menge. Die wird über einen plärrenden Lautsprecher immer wieder dazu aufgerufen, doch bitte den Sicherheitsabstand und die Hygieneregeln einzuhalten. Unmöglich in dem Gedränge. Auf der Plaza Mayor ist ein Weihnachtsmarkt aufgebaut, Stände locken mit Weihnachtsdekoration, Süßigkeiten und dem üblichen Tinnef.
Vor dem berühmten Museum Reina Sofía, wo seit dem 11. November eine Sonderschau über die niederländische Künstlergruppe De Stijl zu sehen ist, drehen besonders wagemutige Spanier ihre Runden auf einer Eislaufbahn, die kurz vor Weihnachten aufgebaut wurde. Cafés, Restaurants und die beliebten Tapa-Bars sind an Wochenenden rappelvoll. Nur die Gesichtsmasken stören das Bild.
Die Frage, warum die Zahlen dennoch gesunken sind, ist auch für den Professor für öffentliche Gesundheit, Ildefonso Harnández, von der Universität Miguel Hernández in Elche schwer zu beantworten. „Wir wissen so gut wie nichts darüber, wie sich die Menschen im privaten Bereich verhalten“, sagt er in einem Video-Interview. Das Verhalten eines jeden Einzelnen sei aber entscheidend. Die Vermutung: Offenbar hätten die Menschen lange vor der Politik aus eigenem Antrieb auf die damals dramatische Entwicklung reagiert.