Von der Triage weit entfernt

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER UND ANDREAS BEEZ

München – Zu den Eigenheiten der Corona-Pandemie gehört es, dass sie neue Verknüpfungen schafft. Wer Ischgl sagt, denkt an Superspreader. Wer New York sagt, hat Kühllaster voller Leichen vor Augen. Auch Bergamo ist nicht mehr nur eine italienische Stadt, sondern Synonym für den ärgsten Fall: die Triage. Gemeint ist jene Praxis, bei der Ärzte wegen knapper Ressourcen entscheiden müssen, welcher Patient behandelt wird und welcher nicht. Bergamo ist der Fall, den es unbedingt zu verhindern gilt. Aber was, wenn das nicht gelingt?

Im von Corona besonders stark betroffenen Land Sachsen scheint es nun erste Fälle von Triage zu geben. „Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, sagte der Ärztliche Direktor des Oberlausitzer Bergland-Klinikums in Zittau, Mathias Mengel, dem Portal „t-online“. Aus Mangel an Beatmungsbetten habe sein Team kurzfristig versuchen müssen, Patienten in andere Kliniken zu verlegen. In manchen Fällen habe es gar keine Hilfe gegeben. Sachsen hat die höchste 7-Tages-Inzidenz bundesweit, es folgen Thüringen – und Bayern. Muss sich der Freistaat also sorgen?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mahnt immer wieder, die Situation nicht zu unterschätzen. „Die Kliniken ächzen derzeit unter der Belastung“, sagte er nach den Bund-Länder-Beratungen am Sonntag. „Teilweise gibt es schon Triage in Deutschland (…) Bergamo ist näher, als der eine oder andere glaubt.“ Hinterher wurde Söder vorgeworfen, Panik zu verbreiten. Kliniken und Mediziner schätzen die Situation im Freistaat jedenfalls weniger dramatisch ein.

Die Belastung der Krankenhäuser ist unstrittig, besonders das Personal ist knapp. Eine Situation wie in Zittau droht nach Ansicht der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) trotzdem nicht. „Wir haben nicht die Sorge, dass wir in absehbarer Zeit in eine Triage-Situation kommen“, sagt Sprecher Eduard Fuchshuber. Derzeit werden nach Auskunft des Gesundheitsministeriums rund 4300 Corona-Patienten in bayerischen Kliniken behandelt, 721 davon intensiv. Knapp 500 Intensivbetten sind frei. Für sie steht im Fall der Fälle auch das Personal zur Verfügung, das dann aus anderen Bereichen abgezogen wird.

Dass Bayern sich vor Triage vorerst nicht fürchten muss, hat laut Fuchshuber mit dem „sehr guten Austausch der Kliniken untereinander“ zu tun. Wo Intensivbetten regional knapp sind, werden Patienten in Häuser mit mehr Kapazitäten verlegt. Dank der Ausrufung des Katastrophenfalls im Freistaat läuft das recht unkompliziert, weil bürokratische Hürden für die Verlegung wegfallen.

Die Koordination übernehmen die jeweiligen ärztlichen Leiter einer Region. Sie können bei Bedarf auch entscheiden, bis dahin anders eingesetzte Intensivbetten für Covid-Patienten nutzen. In München ist Dr. Viktoria Bogner-Flatz eine von zwei Koordinatoren – auch sie gibt Entwarnung. „In München sind wir von Triage weit entfernt und haben diese Maßnahme auch bei größerer Auslastung im Frühjahr nicht gebraucht.“

Im Gesundheitsministerium schätzt man die Lage als ernst ein. Ein Sprecher betont aber: „Wir müssen aufgrund der eingeleiteten Sofortmaßnahmen derzeit nicht entscheiden, ob ein Patient intensivmedizinisch behandelt wird, sondern maximal, in welchem Krankenhaus diese Behandlung erfolgt.“

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