Lodnon/Brüssel – In den zähen Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt der Europäischen Union mit Großbritannien gibt es Bewegung. Dies gelte für die besonders umstrittene Frage des Zugangs von EU-Fischern zu britischen Gewässern, verlautete gestern aus Verhandlungskreisen. Spekulationen über einen nahen Durchbruch seien aber verfrüht.
Die EU-Kommission bestätigte, dass Präsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Boris Johnson am Montag zu den Verhandlungen und zur Lage in der Corona-Pandemie telefoniert hätten. Details wurden nicht bekannt. EU-Unterhändler Michel Barnier wollte die EU-Staaten am Nachmittag und die Experten im EU-Parlament am Abend über den Verhandlungsstand informieren. Bereits nächste Woche Donnerstag verlässt Großbritannien nach einer Brexit-Übergangsphase auch den EU-Binnenmarkt und die Zollunion. Beide Seiten hoffen auf einen Handelsvertrag in letzter Minute, um Zölle und hohe Hürden in den künftigen Wirtschaftsbeziehungen abzuwenden.
Wie ein Kompromiss aussehen könnte, skizzierte ein ehemaliges Mitglied des britischen Verhandlungsteams in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal „Politico“. Raoul Ruparel, einst Berater der Premierministerin Theresa May, hatte sich bereits im vergangenen Jahr einen Namen gemacht, als er den Kompromiss für das Austrittsabkommen korrekt vorhergesagt hatte.
Demnach sollen die Fangrechte der EU-Fischkutter über einen Zeitraum von fünf Jahren nach und nach um 35 Prozent reduziert werden. Die Briten bekämen weiter die Möglichkeit, ihre Fische zollfrei auf den europäischen Markt zu bringen. Flankiert werden soll das mit der Möglichkeit für Brüssel, Zölle einzuführen, falls die Briten den Zugang für Fischer aus der EU weiter einengen–- jedoch nur in von unabhängiger Seite festgelegter Höhe.
Der „Financial Times“ zufolge bestätigten EU-Kreise, dass es ein ähnliches Angebot aus London gegeben habe. Auf britischer Seite hieß es hingegen, die Positionen seien immer noch „weit auseinander“ und die Gespräche gestalteten sich „brutal kompliziert“. Offiziell schweigen beide Seiten.
Aus Verhandlungskreisen hieß es, beide Seiten bewegten sich „in Zeitlupe“ aufeinander zu. Fischerei ist nur ein vergleichsweise kleiner Wirtschaftszweig – das Münchner Ifo-Institut schätzt den Gesamtwert der EU-Fangmengen in britischen Gewässern auf etwa 520 Millionen Euro. Doch hat er für EU-Küstenstaaten wie Frankreich hohe symbolische und politische Bedeutung. Auch für Großbritannien ist es ein Kernthema des Brexits und der nationalen Selbstbestimmung.
Sollten die Verhandlungen scheitern, könnte sich das durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Chaos an Großbritanniens Häfen noch verschlimmern. Frankreich hatte den Warenverkehr von Großbritannien am Ärmelkanal gestoppt, nachdem die britische Regierung ihre Erkenntnisse über eine neue Variante des Coronavirus mitgeteilt hatte. Zigtausende Lastwagen stauten sich daraufhin. Manch einer sah in dem Chaos am Ärmelkanal einen Vorgeschmack auf einen möglichen No Deal. Ab Mittwochmorgen sollen Flugzeuge, Schiffe und der von London aus fahrende Eurostar-Zug aber wieder verkehren, meldete Paris.