München/Dover – Der Frust entlud sich in den frühen Morgenstunden. Mit Hupkonzerten machten Lastwagenfahrer vom europäischen Festland am Mittwoch ihrem Ärger am Hafen von Dover Luft. Tausende saßen zu diesem Zeitpunkt bereits seit Tagen in Südengland fest und mussten sich darauf einstellen, wegen der Grenzschließungen infolge der Entdeckung einer neuartigen Corona-Variante das Weihnachtsfest nicht mit ihren Familien verbringen zu können. Vereinzelt kam es auch zu Rangeleien mit der Polizei.
In der Nacht zu Mittwoch hatte Frankreich zwar nach zwei Tagen die Grenze für Lkw aus Großbritannien wieder geöffnet, doch auf die Lage rund um Dover hatte das zunächst kaum Einfluss. Voraussetzung für die Einreise ist ein negativer Corona-Test. Es werde „einige Tage dauern, bis der Rückstau behoben ist“, sagte der britische Bauminister Robert Jenrick.
Das Verkehrsministerium sprach von mehr als 5000 Fahrzeugen, die in der Grafschaft Kent festsäßen. Der britische Spediteursverband nannte eine doppelt so hohe Zahl. Rund 3000 von ihnen, darunter rund 300 aus Deutschland, wurden auf den stillgelegten Flugplatz Manston nahe Dover umgeleitet.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer forderte rasche Hilfe: „Wir müssen hier schnell gemeinsam eine Lösung finden, die Lieferketten aufrecht zu halten und vor allem den Fahrern die Reise zu ihren Familien in die Heimat zu ermöglichen.“ Er führte den ganzen Tag Gespräche mit der EU-Kommission und seinen EU-Verkehrsministerkollegen. Deutschland hat noch den EU-Ratsvorsitz inne.
Die Schließung der Grenzen hatte die Befürchtung von Versorgungsengpässen in Großbritannien vor allem bei frischen Gütern geschürt. Die Lufthansa schickte zur kurzfristigen Versorgung der Supermärkte 80 Tonnen Obst und Gemüse ins Königreich.
Vor dem Hintergrund der angespannten Situation an der Grenze, aber auch im Handel kam am Mittwoch auch in die seit Monaten festgefahrenen Brexit-Verhandlungen zwischen London und der EU Bewegung. „Wir sind jetzt in der Endphase“, sagte ein EU-Vertreter am Nachmittag. Aus anderen Quellen hieß es, der Punkt der fairen Wettbewerbsbedingungen sei nun endlich geklärt, auch bei den Fischereirechten gebe es eine Annäherung.
Am Abend kam es allerdings zu Verzögerungen. Die Verhandlungen seien noch nicht beendet, hieß es aus EU-Kreisen. Ein Diplomat sagte, die EU-Mitgliedstaaten überprüften, ob alle notwendigen Garantien der britischen Seite in dem Kompromissvorschlag enthalten seien. Aus französischen Regierungskreisen hieß es, die Briten hätten „enorme Zugeständnisse“ gemacht. mit dpa/afp