„Wir brauchen Mut und Zuversicht“

von Redaktion

Wer bei Christa Stewens im Dorf Angelbrechting klingelt, wird recht neugierig beschnuppert und mit einem feuchten Nasenstups begrüßt. Rauhaardackel Anton, 11, übernimmt das. Die Hausherrin verzichtet in Pandemiezeiten auf den Händedruck, ihr herzliches Lächeln zeigt Freude übers Wiedersehen. Es ist ja etwas stiller geworden um die langjährige Sozial- und Gesundheitsministerin in Bayern. Stewens, 75, ist nicht mehr Berufspolitikerin seit ihrem Abschied aus dem Landtag 2013. Wie geht es ihr heute? Und wie feiert Großfamilie Stewens Corona-konform Weihnachten?

Heute Abend feiern Sie Ihr 75. Weihnachtsfest. Mitten in der Pandemie – wird es Ihr traurigstes Fest?

Nö. Vielleicht tut es unserer Gesellschaft gut, stärker innezuhalten und nachzudenken, was bisher für alles uns so selbstverständlich war. Ich füge mich in die Bedingungen und halte mich an die Regeln. Sogar der Platz im Gottesdienst ist schon reserviert. Das einzig Schwierige wird, dass wir schon um 21 Uhr zuhause sein müssen.

Die Regeln sind recht kompliziert für große Familien. Welcher der 24 Enkel darf Oma Christa sehen?

Für große Familien ist es wirklich schwierig – alle Regeln scheinen auf kleine Familien ausgerichtet zu sein. Wir haben aber eine Lösung gefunden. Zwei Kinder und neun Enkel leben in Frankfurt – die werden wir heuer nicht sehen. Es gibt diesmal auch leider nicht das große Familienfest am zweiten Weihnachtstag, erst recht nicht den gemeinsamen Skiurlaub in Österreich. Mein Mann und ich werden Heiligabend zu unserer jüngsten Tochter fahren. Die anderen drei Kinder und ihre Familie sehen wir an den folgenden Weihnachtstagen.

Lassen Sie sich gern vom Staat vorschreiben, mit wem Sie unterm Baum sitzen? Und wie lange?

Bei der Uhrzeit habe ich etwas Schwierigkeiten. Ob ich bis 21 oder 22 Uhr bei den Kindern bleibe, spielt bei Corona kaum eine Rolle. Andererseits stehe ich hinter den Regeln, auch wenn ich nicht jede zu 100 Prozent verstehe. Wir brauchen jetzt Disziplin und Zusammenhalt. Die große Zahl der Infizierten und der Toten erschreckt uns alle. Wer mit einer Regel absolut nicht klarkommt, soll sich melden bei den Politikern.

Sie waren über sieben Jahre Ministerin. Wie oft danken Sie dem Herrgott, jetzt nicht diese Regeln setzen zu müssen?

Sehr oft! (lacht) Es sind besonders schwierige Ämter jetzt.

Was hätten Sie anders gemacht? Die Heime doch früher geschützt?

Ich bin ja Stiftungsratsvorsitzende des Zentrums für Qualität in der Pflege. Wir haben sehr früh Handlungsanleitungen für die Heime entwickelt. Man hätte von Anfang an diese Hygiene-Bestimmungen sehr exakt beachten müssen. Es geht um die vulnerabelste Gruppe, die wir in unserer Gesellschaft haben.

In mehreren Kliniken sind die Intensivstationen voll. Ist unsere Notversorgung am Limit? Schon drüber?

Es sind vor allem die Mediziner, die Pflegekräfte und die Intensivpfleger – sie sind am Limit. Ich glaube, dass der zweite Lockdown wirken wird, wir werden um die Triage in Deutschland herumkommen. Aber wir sollten endlich daraus lernen: Es fehlen vor allem Intensivpflegekräfte. Wir hätten im Sommer schon Weiterbildungen anbieten und höhere Tariflöhne sicherstellen sollen. Das ist vielleicht wichtiger als ein einmaliger Bonus.

Haben Sie Ihre Enkel in der Pandemie im Homeschooling begleitet?

Ja, teilweise. Im ersten Lockdown war ich überrascht, wie schwierig Homeschooling sogar in Bayern ist. Meine jüngste Tochter hat fünf Kinder zwischen 6 und 15 Jahren, ihr Mann ist im Homeoffice – das hieß, jeden Tag bis zu 1000 Seiten Papier ausdrucken. Dazu ein Mebis-Portal, das ständig abstürzt – ich hab’ viel live miterlebt. Viele Eltern waren jetzt ein Jahr lang Ersatzlehrer. Gerade Familien mit kleinen Kindern haben da enorme Probleme, Alleinerziehende besonders.

Haben Sie zu hören bekommen: Oma, sag’ dem Söder mal, das funktioniert alles nicht!

(lacht) Ja!

Ist es jetzt besser?

Im zweiten Lockdown ist wieder alles abgestürzt. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass es in Bayern noch Schulen gibt, die nicht mal WLan haben. Ich erlebe hoch engagierte Lehrkräfte, die sich enorm viel Zeit nehmen, innovativ sind. Und leider auch Lehrer, die eine einzige Stunde digital anbieten und dann sagen: Wir sehen uns in einem Monat wieder.

Wir möchten auch über Markus Söder reden. Als er Spitzenkandidat wurde, Parteitag 2018, haben Sie offen gegen ihn gestimmt. 1000 Mal Ja, vier Nein-Stimmen. Haben sich Ihre Vorbehalte bewahrheitet? Haben Sie sich geirrt?

(lange Pause) Ich stehe zu meiner Entscheidung damals. Aber ich sage heute auch: Er macht seine Sache als Ministerpräsident gerade in der Pandemie gut. Klare Regeln sind wichtig. Was ich vermisse: Man muss den Menschen Zuversicht und Mut geben, dass wir das schaffen werden. Das könnte man stärker betonen. Und ich bin für Teamarbeit, so wie damals im Ministerrat unter Edmund Stoiber.

Würden Sie Söder heute wählen?

(lacht) Können Sie die Frage nicht streichen? Es ist doch jetzt Weihnachten …

Schauen wir nochmal auf unser Land, auf die Generationen. Für viele junge Menschen ist der Gedanke an die Intensivstation weit weg. Verstehen Sie da manches Regel-Brechen?

Wir sind da mitten in einem großen Spannungsfeld. Ich kann die Jugend verstehen – das Alter, in dem man immer mehr riskiert als später. Ich weiß noch recht gut, was meine Kinder angestellt haben. Der aktuellen Jugend geht durch Corona einiges verloren. Ein Jahr ist in der Entwicklung von Jugendlichen schon verdammt viel, und vermutlich wird ein zweites Jahr dazu kommen. Nur mit strenger Regulierung allein findet die Politik da kein Gehör. Mir gefällt sehr gut, wie Kanzlerin Merkel an die Verantwortung appelliert: Jeder trägt Verantwortung für sein Verhalten in der Pandemie.

Erleben Sie das auch in der Familie?

Ja, die Debatten haben wir auch.

Sagen Sie dem Enkel dann: Bitte triff jetzt Deine drei Kumpel nicht?

Das sage ich. Und sie halten sich grundsätzlich daran. Am Schwierigsten ist es natürlich für die ganz Kleinen, nicht mit Freunden zu spielen.

Blicken wir auf 2021. Corona wird nicht vorbei sein …

Nein. Und wir sollten auch keine Daten nennen, die wir dann immer und immer wieder nach hinten schieben. Da verlieren die Menschen ein Stück weit Orientierung. Auch 2021 wird kein normales Jahr werden.

… aber Weihnachten 2021 sitzen Sie ohne Maske unterm Baum und nehmen alle 24 Enkel in den Arm?

Ja! Das habe ich mir fest vorgenommen.

Interview: Mike Schier und Christian Deutschländer

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