München – Im Kuddelmuddel der Corona-Kurven, R-Werte, Fallzahlen, Inzidenzen, Viruslasten und Intensivbettenbelegungen, schleicht sich ein neuer Wert ein. Wie viele sind schon geimpft? Und wie viele wollen sich überhaupt impfen lassen? Die Zahl der Geimpften liegt noch im Promillebereich, bei den Impfwilligen ist ungefähr eine Drittelung aus Ja/Nein/Vielleicht erkennbar. Und die Politik widmet sich immer intensiver der Frage: Wie überzeugen wir die Leute?
Die Regierungen in Berlin und München verfolgen eindeutig nicht den Weg einer Impf-Pflicht. Ob es aber Sonderregeln für Geimpfte geben könnte, wird diskutiert. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery spricht das aus. „Langfristig“, wenn alle Menschen die Chance zur Impfung hätten und über den Nachweis von Immunität im Blut mehr bekannt sei, seien entsprechende Entscheidungen möglich, sagt er. Die frühere Familienministerin Kristina Schröder (CDU) sagt, Grundrechte seien keine Sonderrechte. Sie verstehe nicht, was an einem Immunitätsausweis „so schlimm sein soll“. Einen „Normales-Leben-Pass“ taufte das unlängst eine Zeitung. De facto ist es wohl ein Stempel im gelben Impfbüchlein, in Deutschland ja 2021 noch immer analog.
Ansätze dazu gibt es in anderen Ländern. In Israel sollen Geimpfte mit einem „grünen Pass“ Vorteile erhalten. Für sie wird die Quarantänepflicht gelockert, sie dürfen Konzerte und Restaurants besuchen. Den Ausweis soll es zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis geben. In Großbritannien orakelte Premierminister Boris Johnson über einen „Freiheitspass“.
Deutsche Regierungspolitiker stellen sich dagegen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert Geduld. „Viele warten solidarisch, damit einige als Erste geimpft werden können. Und die Noch-Nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisch gedulden.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagt unserer Zeitung: „Es kann nur darum gehen, jetzt die Chancen zur Impfung zu schaffen, um daraus Gesundheitsschutz für alle zu ermöglichen und nicht Sonderrechte für wenige.“ Malu Dreyer, SPD-Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, warnte schon vor drei Wochen: „Das spaltet nur unnötig.“
In weiten Teilen der Wirtschaft können die Regierungen aber keine Zwei-Klassen-Gesellschaft verhindern. Gastronomen und Konzertveranstalter könnten kraft ihres Hausrechts Ungeimpfte und Ungetestete abweisen. Musterfall ist die New Yorker „City Winery“, die Gästen vorm Lokalbesuch ein Wattestäbchen in den Rachen schob – zum Corona-Schnelltest.
Bei Fluglinien gibt es auch konkrete Testläufe. In Australien hat die Fluglinie Qantas eine Impfpflicht für interkontinentale Flüge angekündigt. Auch andere Airlines hätten gerne die Gewissheit, keine infizierten Passagiere zu transportieren. Die Einführung einer Impfpflicht sei derzeit nicht geplant, heißt es bei der Lufthansa. Die deutsche Linie will aber zumindest ihr Test-Programm im Januar neu anlaufen lassen und ausbauen: Boarding nach negativem Schnelltest. Ein erster Versuch mit 2500 Gästen unter anderem zwischen München und Hamburg lief weitgehend problemlos.
Sonderrechte für Geimpfte – momentan klingen Gedankenspiele etwas schräg, wenn die schon geimpften 100-Jährigen auf Rockkonzerte gehen dürften, nicht hingegen ihre Enkel. Noch mehr Schwung wird die Debatte um „grüne“ oder „Freiheits“-Pässe wohl bekommen, wenn klar ist, ob Geimpfte noch ansteckend sein können. Falls nein, ist das für private Veranstalter ein Extra-Anreiz, nach dem Impfnachweis zu fragen. Auf Dauer wird das dann auch digital klappen: Mehrere Firmen arbeiten an Apps für Smartphones, die einigermaßen fälschungssicher eine Impfung nachweisen sollen.