München – Er will sich die Ruhe nicht nehmen lassen. Ein ums andere Mal wird Jens Spahn (CDU) nach dem holprigen Corona-Impfstart gefragt – unermüdlich erklärt er, wie die Dinge aus seiner Sicht stehen. Der Impfstoff sei nun mal weltweit knapp, sagt der Bundesgesundheitsminister und bittet um Geduld. Die Kritik könne er nachvollziehen. „Aber der Weg raus aus der Krise ist begonnen. Ich wünschte, dass wir das als Anlass zur Freude nehmen.“
Zum letzten Mal in diesem Jahr ist Spahn Gast der Bundespressekonferenz, nach zehn langen Corona-Monaten ein gut eingeübtes Ritual. Wie fast immer sitzen RKI-Chef Lothar Wieler und der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, neben ihm. Aber Spahns Versuche, in vertrauter Atmosphäre Optimismus zu versprühen, wirken seltsam bemüht.
Denn die Impfkampagne ist keineswegs so „erfolgreich“ angelaufen, wie der Minister am Mittwoch behauptet. Hauptgrund: Während Israel oder Großbritannien ihre Bevölkerung in Windeseile durchimpfen wollen, ist das Vakzin der Mainzer Firma Biontech ausgerechnet in Deutschland knapp.
Noch am Mittwoch gibt es Verwirrung um die nächste Lieferung. Am frühen Nachmittag heißt es überraschend, die Länder bekämen in der ersten Januarwoche überhaupt keinen Impfstoff mehr. Wenige Stunden später zieht das Spahn-Ministerium dann die für 11. Januar geplante Lieferung von 670 000 Dosen auf den 8. Januar vor. Trotzdem fehlt unterm Strich eine Lieferung, die für den 4. Januar geplant war.
In München ist der Ärger groß. „Für eine professionelle Planung benötigen wir frühzeitig verlässliche Informationen zu den bevorstehenden Impfstofflieferungen“, sagte Gesundheitsstaatssekretär Klaus Holetschek. Die Informationspolitik des Bundes sei „stark verbesserungswürdig“. Auch beim Koalitionspartner endet die Geduld. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der „Rheinischen Post“: „Das Chaos rund um den Impfstart finde ich sehr ärgerlich.“ Spahn habe Monate Zeit gehabt, das vorzubereiten.
In dem Thema steckt spürbar viel Zündstoff und als zuständiger Minister steht vor allem Spahn in der Schusslinie. Für ihn, der sich im Bund zu Höherem aufschwingen will, steht dabei einiges auf dem Spiel. Auch deshalb versucht er in diesen Tagen immer wieder, sich zu erklären: bei öffentlichen Auftritten, in Interviews. Bisweilen kommen seltsame Schwenks heraus. Der „Bild“ sagte Spahn etwa, er halte Restaurant- und Konzert-Besuche für Geimpfte für „möglich“. Zuvor hatte er tagelang erklärt, wer nicht geimpft sei, dürfe nicht diskriminiert werden.
In seiner Argumentation bleibt der Minister hart. Es sei richtig gewesen, die Impfung nicht national zu planen, sondern europäisch, sagt er auch am Mittwoch. Auch den Vorwurf, zu wenig Impfstoff bei Biontech bestellt zu haben, weist er zurück. Schließlich sei lange unklar gewesen, welches Mittel die Zulassung bekomme.
So oder so: Die Länder stehen wegen der Lieferlücke im Januar vor Problemen. In Bayern verschiebt sich nun die Impfung von über 80-Jährigen, die nicht in Heimen leben, nach hinten. Geplant war, sie Mitte bis Ende Januar anzuschreiben – in dem Brief wird erläutert, wie man einen Impftermin erhält. Der Zeitplan dürfte jetzt hinfällig sein, wie ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums bestätigte. Ohnehin funktionieren die Hotlines großteils noch nicht (wir berichteten). Außerdem benötigen die 17 000 Personen, die jetzt schon geimpft sind, innerhalb von drei Wochen eine zweite Impfung, um sicher immun zu sein. „Das Zeitfenster darf nicht allzu groß sein“, sagt der Sprecher.
Spahn versichert, er werde „alles tun, um für Deutschland schnellstmöglich möglichst viel Impfstoff zu bekommen“. Dabei setzt er auf die Zulassung weiterer Mittel der Firmen Moderna (kurz vor der Zulassung) und AstraZeneca. „Je mehr Impfstoffe zur Verfügung stehen, desto schneller geht es“, sagt er. MARCUS MÄCKLER, DIRK WALTER