Schmerzhafte Abnabelung

von Redaktion

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – Rücktritt? Für Donald Trump kam gestern, am Tag der Abstimmung im US-Repräsentantenhaus in seinem zweiten Amtsenthebungsverfahren, ein solcher Schritt nicht in Frage. Er denke nicht daran, freiwillig aus dem Amt zu scheiden, ließ der Präsident über Vertraute durchsickern. Dabei bleibt ihm noch gerade mal eine Woche Zeit vor seinem offiziellen Abschied am 20. Januar, um mit einem Rücktritt – so wie es einst Richard Nixon vor seinem absehbaren „Impeachment“ nach der Watergate-Affäre praktizierte – den Super-Gau zu vermeiden.

Sollte ihn nach der Abstimmung im Repräsentantenhaus, in dem die Demokraten die Mehrheit stellen, später der 100-köpfige Senat mit Hilfe der dafür benötigten 17 Republikaner-Stimmen für schuldig befinden, könnte die kleinere der beiden Kongresskammern Trump auch mit einfacher Mehrheit untersagen, 2024 noch einmal anzutreten. Dass er dies tatsächlich in Erwägung zieht, hatte der Präsident mehrfach durchblicken lassen.

Trump spekuliert offenbar darauf, dass sich im Senat nach der für ihn gestern absehbaren Abstimmungsniederlage im Repräsentantenhaus keine 17 Senatoren finden werden, die ihm in den Rücken fallen. Eine Abstimmung im Senat ist auch nach dem 20. Januar möglich – und Trump könnte bei einem „Schuldig“ nicht nur seine Präsidentenpension und das Recht auf Kandidatur, sondern auch die Secret-Service-Leibwächter verlieren, die sonst auf Lebenszeit ehemalige Präsidenten schützen.

Trump gedenkt offenbar, die Krise auszusitzen und sich – wie am Dienstag in Texas – mit den Worten zu verteidigen, seine Rede in Washington vor dem Sturm seiner Fans auf das Kapitol sei „völlig angemessen“ gewesen. Doch unterschätzt er dabei die Strömungen innerhalb der Partei, die gegen ihn laufen? Die bisher wichtigste Aussage soll dabei laut „New York Times“ von Senats-Fraktionschef Mitch McConnell kommen, der bis vor Kurzem treu an der Seite des Präsidenten stand. Er sehe nun Handlungen Trumps, die eine Amtsenthebung rechtfertigen würden, meldet das Blatt. Und: Ein „Impeachment“ werde es für ihn einfacher machen, die Partei von Trump zu „reinigen“, wird McConnell zitiert.

Wer an der Seriosität dieser bedeutenden Meldung zweifelt, sollte sich daran erinnern, dass McConnell mit Elaine Chao verheiratet ist. Die Ex-Transportministerin war letzte Woche das erste Kabinettsmitglied, das zurücktrat. Im Repräsentantenhaus soll derweil Fraktionschef Kevin McCarthy andere Republikaner gefragt haben, ob er Trump zum Rücktritt drängen solle. In der gestrigen Debatte legte McCarthy sich fest: Trump trage die Verantwortung für den Sturm auf das Kapitol.

Dass in der Parteiführung die Unterstützung für Trump bröckelt, dafür spricht auch die Stellungnahme von Liz Cheney. Die Abgeordnete gilt als drittmächtigste Volksvertreterin der Republikaner und ist die Tochter von Ex-Vizepräsident Dick Cheney. Ihre Kritik ist an Schärfe kaum zu überbieten. Der Präsident habe den Mob gerufen und die „Flammen für die Attacke gezündet“. Nie habe es einen größeren Betrug eines Präsidenten an seinem Amtseid und Amt gegeben. Deshalb werde sie für eine Amtsenthebung stimmen.

Weitere Republikaner wollten ihr gestern folgen. Das Heft des Handelns läge dann bei Mitch McConnell, der nach eigenen Angaben seit Mitte Dezember mit dem Präsidenten kein Wort gewechselt hat. Das Schweigen begann, als er öffentlich erklärte, was für Trump so unerträglich war: Dass er Joe Biden als neuen Präsidenten anerkennen werde.

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