Machtkampf auf dem Geister-Parteitag

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Berlin/München – Es ist ein Moment, wie ihn Parteitage selten erleben. Ehrlich. Schonungslos. Selbstkritisch. „Ich hatte nicht mehr genug Autorität und Unterstützung“, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer in die fast menschenleere Halle. „Ich weiß, dass viele von euch mehr von mir erwartet haben und über Fehler enttäuscht waren.“ Diesen Ansprüchen „nicht gerecht geworden zu sein, das schmerzt“. Es sei ein schwerer Schritt, dieser Rücktritt.

Mit klaren Worten, ohne Lametta, schildert Kramp-Karrenbauer ihr zweijähriges Scheitern als CDU-Vorsitzende. Eindringlich bittet sie die Partei, sich zumindest hinter ihrem Nachfolger zu sammeln, wer auch immer es wird. Das ist der leise Auftakt am Freitagabend zu einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Parteitag.

Als erste Partei überhaupt versammelt sich die CDU rein digital zur Neuwahl. Weil sie muss, wegen Corona, nicht weil sie sich modern geben mag. Nun ist in einer großen Berliner Messehalle, direkt neben einem Corona-Not-Krankenhaus, ein Studio aufgebaut. Von hier aus sendet die CDU-Spitze in Büros und Wohnzimmer der 1001 Delegierten. Es hakt technisch ab und zu, berichten Beobachter, aber ein Zusammenbruch bleibt bisher aus.

Für AKK ist das ein emotionsarmer Abschied. Auch die Kandidaten bringt diese Lage unter Druck. Am Samstagvormittag werden Armin Laschet, Ex-Friedrich Merz und Norbert Röttgen, fein alphabetisch geordnet, ihre 15-Minuten-Vorstellungsreden halten. In eine Kamera – ob sie die Herzen der Delegierten treffen, können sie nicht spüren. Kein Applaus, kein Echo aus den Tiefen einer Halle. Auch beim Wählen läuft dieser Geisterparteitag anders, da trifft es die Delegierten: Sitzt die Familie mit auf der Couch, wenn sie digital über den CDU-Vorsitz abstimmen? Wer redet mit? Das macht’s noch unberechenbarer.

Inhaltlich ist die zentrale Frage: Stellt sich die CDU mit Merz konservativer auf? Bleibt sie mit Laschet näher am Mitte-Kurs von Angela Merkel? Es hat etwas von einer Richtungsentscheidung.

Und immer mit von der Partie ist CSU-Chef Markus Söder. Er führt beim Thema Kanzlerkandidatur in Umfragen weit vor den CDU-Kandidaten. Söder darf bereits am Freitagabend reden, sieben Minuten lang, frei. Er hat sich, nach zuletzt freundlichen Auftritten mit Laschet, für diese Rede Neutralität auferlegt. Oder gibt er doch Fingerzeige eher gegen Merz? „Nicht alte Antworten auf neue Fragen“ geben, rät er der CDU, gleich an die kommenden zehn Jahre denken.

Der Bayer, zugeschaltet aus seiner weißblau dekorierten Münchner CSU-Zentrale, beschwört auch die Einheit der Union. Das AKK-Erbe ist ja, mit Söder den großen Krach 2018 um die Migrationspolitik aus dem Weg geräumt zu haben. Einmal nur bleibt er zweideutig. Ob er schon eine CDU-Tasse habe, wird Söder, warum auch immer, von Generalsekretär Paul Ziemiak gefragt. „Wenn ein Angebot an mich kommt“, sagt er. Der Satz bleibt in der Luft hängen. Hinweis zur K-Frage?

Merkel bleibt noch vager. Sie wird für ein harmloses Grußwort digital aus ihrem Kanzleramt zugeschaltet, winkt freundlich in die Kamera. „In aller Demut stolz zu sein“, rät sie den Parteimitgliedern und zählt minutenlang auf, welche Krisen in ihrer Amtszeit gemeistert wurden. Die CDU müsse „Volkspartei der Mitte“ sein, sagt sie immerhin, und, dass man ein Team wählen müsse.

Wie geht das also aus heute? Selbst erfahrene Parteistrategen aus CDU und CSU wagen keine Vorhersage. Hinter den Kulissen äußert sich interessanterweise Wolfgang Schäuble. Der Bundestagspräsident sagt vor Delegierten aus Baden-Württemberg, er werde für Merz stimmen. Für die Landtagswahl im März sei Merz die größte Hilfe. Zuvor hatte sich die Junge Union in einer Mitgliederumfrage – wenn auch mit nur lauer Beteiligung – für Merz ausgesprochen, die Spitze der Frauen-Union explizit gegen ihn.

Unkalkulierbar ist sogar, wer in den zweiten Wahlgang kommt. Und so sitzen die Delegierten am Freitagabend vor ihrem Computer, bei der Eröffnungs-Andacht schallt aus dem Lautsprecher „Lobet den Herrn“. Wenn sie nur wüssten, welchen.

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