Biden dreht die Uhr zurück

von Redaktion

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – Zum Ende seiner in den US-Medien viel gelobten Antrittsrede – das konservative „Wall Street Journal“ würdigte gestern das Einheits-Gelöbnis und den Aufruf zu einem Neuanfang – zählte Präsident Joe Biden sechs Krisen auf, mit denen sich das Land konfrontiert sehe: Coronavirus, Klimawandel, wachsende Ungleichheit, Rassismus, Amerikas Ansehen in der Welt und die jüngsten Attacken auf Wahrheit und Demokratie. Er wolle keine Zeit verlieren und sich alle Krisen gleichzeitig vornehmen, sagt er.

Nimmt man Bidens erste 24 Stunden im Weißen Haus als Maßstab, so hält sich der Demokrat an dieses Versprechen – und drückt aufs Tempo. Noch nie hat ein Präsident am ersten Arbeitstag gleich 17 Exekutiv-Anordnungen unterzeichnet. Selbst Barack Obama brachte es am Tag eins lediglich auf eine Verfügung zu seiner Kranken-Pflichtversicherung „Obamacare“.

Die Devise des Neustarts im „Oval Office“ war unübersehbar: So schnell wie möglich mit dem bei seinen Wählern verhassten Erbe von Donald Trump aufzuräumen. Angesichts des Umfangs des Nachlasses hatte der älteste US-Präsident aller Zeiten viel vor sich. Der Klimaschutz liegt Umfragen zufolge seinen Anhängern besonders am Herzen. Deshalb sind die USA seit Mittwoch wieder Mitglied des Pariser Klimaabkommens. Dazu wurden viele Neuregulierungen Trumps revidiert, die nach Ansicht der Demokraten umweltfeindlich sind – darunter die Bauerlaubnis für die umstrittene „Keystone XL“-Ölpipeline, die kanadische Rohöllager mit US-Raffinerien verbinden soll.

Ein weiterer Schwerpunkt der Verfügung war der Kampf gegen Corona. In allen Regierungsgebäuden und dort, wo das Weiße Haus Kompetenz hat, müssen für die nächsten 100 Tage Masken getragen werden. Trump hatte erst gegen Ende seiner Amtszeit widerwillig eingeräumt, dass Masken überhaupt schützen. Viele seiner Wähler lehnen sie bis heute ab. Gestern hieß es zudem aus dem Biden-Team, Trump habe „keinen Plan“ zur Verteilung der Impfstoffe gehabt.

Gleichzeitig stoppte Biden den Rückzug der USA aus der Welt-Gesundheitsorganisation WHO. Trump hatte der Organisation vorgeworfen, zu Beginn der Pandemie politischem Druck aus China folgend die Gefahren von Corona verharmlost zu haben. Gestern machte sich bereits der US-Seuchenexperte Dr. Anthony Fauci – er war bei Trump aufgrund seiner realistischen Warnungen in Ungnade gefallen – auf den Weg zu einem WHO-Treffen. Dahinter steckt die Überlegung: Um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, die in den USA bisher mehr als 400 000 Todesopfer gefordert hat, muss stärker auf internationaler Ebene kooperiert werden. Innenpolitisch versucht Biden ebenfalls die Folgen der Krise zu mildern. Die von Trump angeordneten Moratorien, die Bürger vor dem Verlust ihrer Häuser und Wohnungen schützen sollen und die die Rückzahlung von staatlichen Studenten-Darlehen aussetzen, wurden am Mittwoch verlängert.

Einen starken Bruch erlebt das Land nun, was die Migrationspolitik angeht. Den illegal im Land lebenden Einwanderern soll ein klarer Weg zu einer „Greencard“ und damit einem legalen Status aufgezeigt werden. Bei Abschiebungen will sich Biden künftig – einem Beispiel aus der Obama-Ära folgend – vor allem auf Straftäter ohne Aufenthaltserlaubnis konzentrieren. Unter Trump musste jeder Migrant ohne gültige Papiere eine Deportierung fürchten. Wie zuvor angekündigt hob Biden auch per Dekret das von Trump installierte Einreiseverbot für Muslime aus als „unsicher“ angesehenen Staaten wie dem Iran, Libyen, Somalia, Syrien und dem Jemen auf.

Auch in der Verteidigungspolitik handelt Biden schnell: Laut Medienberichten will er den letzten atomaren Abrüstungsvertrag mit Russland um fünf Jahre verlängern.

Nun blickt Biden nach vorn – und der Abschied von der Ära Trump wird auch durch Details im „Oval Office“ deutlich: Der neue Präsident ließ ein großes Porträt von Franklin Roosevelt in seinem Arbeitszimmer aufhängen. Ein Staatsmann, der die Nation von 1933 bis 1945 durch mehrere Mega-Krisen wie den Zweiten Weltkrieg geführt hatte.

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