Ramelows lockere Zunge

von Redaktion

Thüringens Regierungschef plaudert im Netz: Beim Corona-Gipfel zockt er Spiele am Handy

München/Erfurt – Selten sind Politiker so ehrlich, wie es Bodo Ramelow (Linke) am Freitagabend war: Acht Stunden lang haben die Regierungschefs mit der Kanzlerin letzte Woche über Einschränkungen der Grundrechte gestritten – und Thüringens Ministerpräsident hat währenddessen am Handy gezockt. Bis zu „zehn Level Candy Crush schaffe ich“, erzählte er rund 3000 Menschen auf der neuen Social-Media-Plattform „Clubhouse“.

Es hat nur wenige Tage gedauert, bis der Rummel um die neue Audio-App aus den USA nach Deutschland geschwappt ist – seitdem tummeln sich dort auch etliche Spitzenpolitiker. Das Prinzip ist relativ simpel: Nutzer können sich in virtuellen Räumen unterhalten. Hier geht es nur ums Reden – ohne Videos, ohne Chats.

Auch Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD), SPD-Vize Kevin Kühnert, CDU-Politiker Philipp Amthor sowie etliche Journalisten waren in der Nacht auf Samstag mit Ramelow in einem dieser Räume. Auf Twitter schwärmten währenddessen mehrere Nutzer von der lockeren Stimmung – Ramelow und Amthor hätten gesungen, hier und da gab es auch ein Glas Wein.

Es folgten aber auch empörte Reaktionen über Ramelows Plaudereien – vor allem, weil er sich während der Beratungen von Bund und Ländern mit Smartphone-Spielen ablenkt. Die Kanzlerin nannte er außerdem „Merkelchen“ – und laut „Welt am Sonntag“ habe er gesagt, sein Land habe „zu viele Tote“, als dass er derzeit in Debatten punkten könnte.

Denn Johannes Boie, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, hatte die lockere Runde mitverfolgt – und am nächsten Tag über Einzelheiten der Talkrunde in der Zeitung berichtet. Ramelow reagierte wütend: „Totholz“, nannte er das Printmedium bei Twitter, „verarbeitet ein lockeres Gespräch über Trash mit jungen Menschen und wandelt es in diese politische Wendung.“ Den Beitrag löschte er später wieder.

Viele Nutzer debattierten darüber, ob die Berichterstattung gerechtfertigt war. Denn: Die Richtlinien der Clubhouse-App schreiben vor, dass Gespräche vertraulich bleiben müssen. „Über Ramelows politische Äußerungen, sein von ihm selbst beschriebenes Verhalten in der Pandemie zu schreiben, ist journalistische Pflicht“, entgegnet aber Boie.

Ramelow teilte am Sonntag mit, die Bezeichnung „Merkelchen“ für die Kanzlerin bedauere er. Das sei ein „Akt männlicher Arroganz“ gewesen. Kritik an anderen Aussagen wies er zurück. „Die einen spielen Sudoku, die anderen spielen auf ihren Handys Schach oder Scrabble, und ich spiele Candy Crush“, sagt er. Bei den teils zehn Stunden langen „Marathon-Sitzungen“ mit häufigen Unterbrechungen sei das kein Aufreger. Aussagen seien aus dem Kontext gerissen worden.

Das Thema der Talkrunde sei „Trash und Feuilleton“ gewesen. „Wenn man über Trash redet, dann ist es trashig“, sagt Ramelow. Wenn man das in einer anschließenden Debatte weglasse, finde er das komisch. Wenn man daraus eine tiefernste Sache mache, „dass es zeigt, wie die Politiker denken, wenn sie privat sind – das finde ich schwierig“.

An Clubhouse kritisiert er die Exklusivität: Noch gibt es die App nur für iPhone-Nutzer – beitreten darf man nur mit Einladung anderer Mitglieder. Ramelow: „Das darf nicht so bleiben, sonst wird das nicht mein Medium, wenn das so elitär bleibt.“ Er habe zudem Bedenken wegen des Datenschutzes. Auch wenn sein Auftritt Kritik auslöste, kann Ramelow sich vorstellen, in weiteren Talkrunden zu plaudern. kab,dpa

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