München – Es klang wie die nächste Hiobsbotschaft in einer langen Serie schlechter Nachrichten zum Impfstart. Der Wirkstoff der britisch-schwedischen Firma Astrazeneca schütze ältere Menschen kaum, hieß es in mehreren Medien. Träfe dies zu, könnten die Impfpläne der Bundesregierung empfindlich beeinträchtigt sein.
Zuerst hatte am Montagabend die „Bild“-Zeitung berichtet. Die Bundesregierung rechne damit, dass der Corona-Impfstoff von Astrazeneca (AZD1222) von der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA nicht für Menschen über 65 Jahre zugelassen wird. Die Zeitung beruft sich auf Gespräche zwischen Bund und Ländern. Grund für die Nichtzulassung soll eine Wirksamkeit von unter zehn Prozent in dieser Altersgruppe sein. Fast zeitgleich berichtete das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Koalitionskreise, die Bundesregierung rechne mit einer Wirksamkeit von AZD1222, die bei Älteren unter acht Prozent liege.
Astrazeneca und das Bundesgesundheitsministerium widersprachen am Dienstag. Astrazeneca nannte solche Werte „komplett falsch“ und verwies auf Studien aus den Testphasen. Auf diesen Daten beruht die britische Notfallzulassung. Ergebnisse wurden im Herbst im Fachblatt „Lancet“ veröffentlicht. Dort heißt es, alle Altersgruppen hätten ähnlich gute Immunantworten gezeigt. Das Bundesgesundheitsministerium teilte am Dienstag mit, es scheine, als seien Dinge verwechselt worden. Rund acht Prozent der Probanden der Astrazeneca-Wirksamkeitsstudie seien zwischen 56 und 69 Jahre alt. Daraus ließe sich aber nicht ableiten, dass die Wirksamkeit bei Älteren nur acht Prozent betrage.
Die EMA will am Freitag über die Zulassung entscheiden. Eine Nachfrage unserer Zeitung, ob man eine Nichtzulassung von AZD1222 für Ältere wegen der dünnen Datenbasis dennoch für möglich halte, ließ das Gesundheitsministerium unbeantwortet. Man nehme zu hypothetischen Fragen keine Stellung. Auch die Frage, ob es alternative Impfszenarien gebe, falls AZD1222 für ältere Menschen ausfalle, ließ das Ministerium unbeantwortet.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte derweil im ZDF an, man wolle kommende Woche entscheiden, welche Gruppen zuerst mit dem Astrazeneca-Vakzin geimpft werden sollen. Bei der Ständigen Impfkommission und beim Robert-Koch-Institut würden bereits Daten ausgewertet. Laut einem Sprecher seines Ministeriums hat Spahn dies auf Nachfrage seinen Länderkollegen mitgeteilt. Das Portal „Business Insider“ hatte zuvor berichtet, Spahn habe den Ländergesundheitsministern in einer Telefonschalte bereits gesagt, die Impfreihenfolge werde geändert, da die Bundesregierung davon ausgehe, dass die EMA eine Empfehlung zur Nutzung des Astrazeneca-Impfstoffes nur für Menschen unter 65 Jahre geben werde. Das Portal will auch erfahren haben, dass auch nachgereichte Daten zu älteren Geimpften bei der EMA nicht für ausreichend Klarheit gesorgt haben.
Auf dem Impfstoff ruhen große Hoffnungen. Er macht etwa ein Fünftel des Impfstoff-Kontingents aus, mit dem Deutschland plant. Er muss nicht aufwendig gekühlt werden und kann deshalb leichter in Arztpraxen und bei wenig mobilen Risikopatienten zuhause verimpft werden. Er ist bisherigen Studien zufolge aber über alle Altersklassen hinweg weniger wirksam als die schon zugelassenen Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Professor Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie der München Klinik Schwabing, sieht das pragmatisch: Man könne sich erst AZD1222 verabreichen lassen und sich später, wenn Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna wieder besser verfügbar seien, auch nachimpfen lassen. „Das wäre eine Brücke für Menschen, die die Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs kritisch beurteilen. Die schlechtere Wahl wäre, sich gar nicht impfen zu lassen.“