WIE ICH ES SEHE

Ein Denkmal dem unbekannten Rentner

von Redaktion

Wie sich die Zeiten ändern. Im Kaiserreich gab es statt der vielen Rentner von heute den feinen „Rentier“. Das waren vermögende Menschen, die es nicht nötig hatten, zu arbeiten. Dafür besaßen sie eine „Coupon-Schere“. Damit schnitten sie die Zinscoupons von ihren Rentenpapieren zu jedem Fälligkeitstag ab. Den Zinsbetrag lösten sie in Goldmark bei der nächsten Bankfiliale ein. Diese Herrlichkeit arbeitslosen Einkommens war vorbei mit der großen Inflation von 1923.

Später, zu unserer Zeit, kam der selbstbewusste Rentner und Pensionär. Mit 65, nach einem langen anstrengenden Arbeitsleben, hieß es voller Stolz: „Jetzt müsst ihr Jungen weitermachen. Ich hab die Rente/Pension durch.“ Vorbei der Acht- bis Zehn-Stundentag, alle Mühe und Arbeit, stattdessen ein freies Altersleben, in dem eines sicher war – die auskömmliche Rente.

Und heute? Die Rentner sind eine große Armee geworden, sie leben immer länger und werden alle in einen Topf geworfen, wenigstens in den Medien. Die kennen in ihren Berichten über Verfehlungen nur noch Rentner. Wenn ich in die Zeitungen schaue, schreibt mir dazu ein treuer Leser, dann bekomme ich langsam das Gefühl, nach über 40 Jahren hingebungsvoller Arbeit einer kriminellen Vereinigung anzugehören. Denn wo immer etwas Schlimmes geschieht, soll nach Meinung der Berichterstatter der Täter ein Rentner gewesen sein. Diese Gruppe in unserem Land scheint einfach nur gemeingefährlich zu sein. Da fälscht der Rentner XY dieses und jenes. Ein Rentner erschlägt seine Frau – ein Leben mit ihr war dem lange Verheirateten einfach nicht mehr möglich.

Rentner werden gerne auch als Kinderschänder entlarvt. Manchmal wird ein Rentner auf dem Spielplatz verhaftet, er strich einem Kind auffällig oft über die blonden Haare. Hat sich vielleicht nur gefreut, dass es so etwas noch gibt. Das macht ihn verdächtig. Rentner aber fallen auch im Straßenverkehr mit zu viel Alkohol auf. Der Führerschein ist dann erst einmal weg. Dabei ist erwiesen, dass Rentner statistisch die wenigsten Unfälle verursachen. Rentner legt Rohrbombe, Rentner durchsticht Autoreifen. Die Zeitung berichtet auch über den Rentner, der einer Frau im Treppenhaus auflauerte. Ein anderer wiederum wartet auf strafrechtliche Verfolgung, weil er immerfort behauptet, „beim Hidla“ sei der soziale Zusammenhalt besser gewesen. Er meint das Dritte Reich. Man muss ihm eine Portion Altersstarrsinn zu Gute halten. Die Meinung, früher sei alles besser gewesen, kennt man ja schon vom uralten Nestor aus der Ilias von Homer.

Zu Recht legt unser Leser stärksten Protest ein gegen die allumfassende, abwertende Verwendung der Bezeichnung „Rentner“. Es fehle nur noch die Meldung: „Rentner hängte sich auf, als ihm bewusst wurde, von wie viel Wirtschaftsverbrechern und Volksschädlingen er umgeben ist.“

Stattdessen fordert unser Briefschreiber ein Denkmal mit Feuerschale, dem „unbekannten Rentner“, der durch seine Arbeit diesem Land Wohlstand gebracht hat. Eine gute Idee wäre es, das Rentnerthema einmal von dieser Seite zu sehen.

Schreiben Sie an:

Ippen@ovb.net

VON DIRK IPPEN

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