Republikaner vor der Zerreißprobe

von Redaktion

Auch nach dem Abschied Donald Trumps wirken in der Partei radikale Kräfte – sie zu bändigen, dürfte schwer werden

Washington – Die 46-jährige US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene ist im Kapitol leicht zu erkennen. Meist trägt sie eine schwarze Gesichtsmaske mit der Aufschrift „Trump won“ („Trump hat gewonnen“). Gelegentlich trägt sie auch eine halbautomatische Pistole unter der Jacke, wenn sie das Parlament betritt. Nur in den Sitzungssaal darf sie die Waffe nicht mehr mitnehmen. Die demokratische Fraktionschefin Nancy Pelosi hat dies nach dem Sturm auf das Kapitol durch Trump-Anhänger verbieten lassen. Und sie hat auch folgende, in der Geschichte Washingtons beispiellosen Worte gesprochen: „Der Feind ist innerhalb des Repräsentantenhauses“.

Es war eine Aussage, die auf Greene abzielte und eine Handvoll anderer konservativer Volksvertreter wie Lauren Boebert (34) aus Colorado – eine Propagandistin der mächtigen Waffenlobby. Auch Boebert trägt meistens verdeckt eine Schusswaffe.

Doch Greene ist es, die die Republikaner vor eine Zerreißprobe stellt. Sie zählt zu jenem Flügel, der Trump weiter vorbehaltlos unterstützt, von einer „gestohlenen Wahl“ fantasiert und selbst den kuriosesten Verschwörungstheorien anhängt. Am Wochenende tauchte die frischeste auf. Sie lautet: Die im letzten Jahr verstorbene liberale Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg sei schon viel früher gestorben – und dann von den Demokraten durch ein Body-Double ersetzt worden, damit Trump den Posten nicht besetzen konnte. Doch den meisten Wirbel macht die Tatsache, dass die QAnon-Unterstützerin Greene 2019 einen Online-Kommentar mit einem „Like“ versah, in dem es hieß, man könne Pelosi durch eine Kugel in den Kopf loswerden.

Nun gibt es bisher keine Indizien für die Furcht der Demokraten, dass Waffen tragende Vertreter der Republikaner im Kapitol tatsächlich gewalttätig werden. Sowohl Greene als auch Boebert sagen, die Pistolen dienten nur dem Selbstschutz. Auch haben sich keine Erkenntnisse dafür ergeben, dass Republikaner dem Mob bei der Erstürmung des Kapitols halfen. Doch was bisher über Greene bekannt ist, genügt ihren Kritikern, um sie aus dem Parlament entfernen zu wollen. Dazu wird eine Zweidrittelmehrheit benötigt, was schwierig werden dürfte.

Denn Greene weiß, das sie zwar nicht mehr die volle Rückendeckung der Partei, aber immer noch die Unterstützung von Donald Trump genießt. Und der könne, so analysiert es ein CNN-Kommentator, gegen jeden als abtrünnig empfundenen Republikaner einen Gegenkandidaten in dessen Wahlbezirk fördern.

Also dürfte Greene dem Kapitol erhalten bleiben. Am Samstag meldete sich sich auf Twitter und sagte, sie werde sich „niemals“ entschuldigen. Und: Sie habe mit Trump gesprochen und sei so dankbar für die Unterstützung

Pelosis Aussage, es gäbe für den Kongress einen inneren Feind, kehrte sie schlichtweg um. Ja, es gebe einen Feind, und der sei ein „giftiger Müllhaufen sozialistischer Politik“ und „Heuchler, die glauben, dass sie unantastbare Eliten sind“. Welche Macht Trump noch immer hat, wurde ebenfalls am Samstag klar. Republikaner-Fraktionschef Kevin McCarthy sagte eine für morgen vorgesehene Sitzung ab, auf der die Partei eigentlich das brisante Thema Greene diskutieren wollte. McCarthy hatte zuvor Trump in Florida besucht – und offensichtlich klare Instruktionen erhalten. FRIEDEMANN DIEDERICHS

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