München – An diesem Wochenende sickert ein neues Wort in die Corona-Debatte ein, und es bietet Zündstoff. Man brauche eine staatlich gelenkte „Not-Impfstoffwirtschaft“, sagt der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Und nicht nur er: Fast zeit- und wortgleich rufen auch die Vorsitzenden der Grünen nach einer „Not-Impfstoffwirtschaft“.
Was da gefordert wird, ist ein tiefer Eingriff in die Marktwirtschaft. Der Staat soll die Firmen koordinieren. „Wir brauchen einen Überblick über alle Pharmakapazitäten in Deutschland“, sagt Söder gegenüber unserer Zeitung. „Wir müssen mehr produzieren können. Wir sind in einer Notlage und brauchen rasch mehr Impfstoff.“ Söder spricht von einem „Notplan, in dem der Staat klare Vorgaben zur Produktion und Entschädigung macht“. Es brauche zudem schnellere Genehmigungsverfahren.
Hintergrund ist, dass Unternehmen wie Biontech aktuell an Grenzen der Produktion stoßen. Es kommt aber auf jeden Tag an, um mit schnellen Impfungen Todesfälle zu verhindern. Gleichzeitig haben belgische Experten laut „FAZ“ die Prognose entwickelt, dass die britische Virus-Mutation B117 von Anfang März an die Infektionszahlen wieder in die Höhe schießen lasse. Dann werde B117 für 90 Prozent aller Infektionen verantwortlich sein. Belgien sequenziert systematisch positive Tests, anders als bisher Deutschland.
Der Druck, schnell zu impfen, wächst durch solche Prognosen. Auch das grüne Konzept läuft darauf hinaus, dass alle Pharma-Unternehmen ihre Kapazitäten melden und bereitstellen müssten. Die Pharmakonzerne seien „unverzüglich ihren Fähigkeiten entsprechend in die Produktion einzubeziehen“, verlangt Parteichef Robert Habeck in einem Funke-Interview.
Seine Co-Chefin Annalena Baerbock geht sogar über die Impfstoffe hinaus. „Wir brauchen eine Pandemiewirtschaft, die jetzt im Hauruckverfahren Güter wie Schutzbekleidung, Desinfektionsmittel und Beatmungsgeräte in großer Zahl produziert”, sagte sie im März dem „RND“. Sie schloss damals „Textilhersteller, Spirituosenproduzenten, Maschinenbauer“ ein, dazu Lagerhallen.
Widerstand kommt aus der FDP. Von „Söder-Satire“ ist dort die Rede, der Staat solle erst mal seine Hausaufgaben beim Verimpfen machen.
Wirtschaftsnahe Experten reagieren mehr als irritiert. Die staatliche Beschaffungsstrategie der EU sei „krachend gescheitert“, schreibt Ifo-Präsident Clemens Fuest in einem Papier seines Instituts. Dass die EU auf schlechten Verträgen sitze, „die nur das unverbindliche Versprechen beinhalten, sich um pünktliche Lieferung zu bemühen“, sei nicht mehr zu ändern. Man müsse nun „marktbasierte Anreize nutzen, um die Produktion hochzufahren“.
Konkret schlägt Fuest vor, die EU solle den Impf-Herstellern eine zusätzliche Prämie für jede früher gelieferte Dosis anbieten. Angesichts der immensen Lockdown-Kosten „sollte diese Prämie sehr hoch sein“, insgesamt in Milliardenhöhe. Fuest: „Eine Dosis, die drei Monate zu früh geliefert wird, könnte für die Gesellschaft durchaus Hunderte von Euro wert sein, während die Kosten viel geringer sind.“ Die Prämien sollten zeitlich gestaffelt werden, beginnend bei „einem Vielfachen des ursprünglichen Preises“, den der Ifo-Chef bei Biontech auf rund 15 Euro ansetzt. Wirtschaftliche Anreize für eine schnellere Produktion seien effektiver als das Drohen mit Klagen.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER