„Völkermord an den Rohingya“

von Redaktion

In Myanmar hat das Militär die Regierung übernommen. Was das für die Minderheit der Rohingya bedeutet, erklärt Jasna Causevic (58), Expertin für Völkermorde in Europa und Asien von der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen.

Warum hat das Militär in Myanmar die Regierung gestürzt?

Die Regierung wurde unter dem Vorwand gestürzt, die Wahlen im November 2020 seien nicht ordnungsgemäß gewesen. Diese gewann die Nationale Liga für Demokratie (NLD) mit der De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi an der Spitze eindeutig. Das Militär kontrolliert das wirtschaftliche und technologische Potenzial Myanmars und will sein in der Diktatur aufgebautes Wirtschaftsimperium erhalten. Auch Korruption führender Militärs spielt eine Rolle.

Wie sieht die Bevölkerung den Putsch?

Die Menschen leiden und sind sehr verunsichert. Die Wahlen haben gezeigt, dass sie nicht zur Militärherrschaft zurückwollen. Schon jetzt gibt es in manchen Regionen Hunger und große Probleme mit der Pandemie. In Teilen des Landes herrscht ein latenter Kriegszustand. Waffenruhen zwischen dem Militär und bewaffneten Gruppen, die für mehr Autonomie kämpfen, halten selten lang.

Sind gewaltsame Ausschreitungen gegen die Regierung denkbar?

Wahrscheinlich nicht. Zwar streben verschiedene Ethnien mehr Unabhängigkeit an, das Militär ist jedoch zu stark und hat Chinas Unterstützung. Auf Angriffe der militanten „Arakan Rohingya Salvation Army“ reagierte es 2017 äußerst brutal: Es beging einen Völkermord an den Rohingya und vertrieb hunderttausende. Aung San Suu Kyi hat das hingenommen und gerechtfertigt.

Welche Folgen hat der Putsch für Minderheiten wie die Rohingya?

Für die Rohingya ist das eine katastrophale Situation. Die myanmarische Regierung betrachtet sie nach wie vor als „eingewanderte Bengalen“. Seit allen Rohingya 1982 die Staatsbürgerschaft entzogen wurde, haben sie keinerlei Rechte im Land. Die Lage der Binnenflüchtlinge wird sich verschlechtern, eine Rückkehr der 800 000 Flüchtlinge allein aus Bangladesch rückt in weite Ferne.

Warum stehen die Rohingya so unter Druck?

Die muslimischen Rohingya leben in der Verwaltungseinheit Rakhaing-Staat. Ultra-nationalistische Buddhisten, ein Großteil der Bevölkerung sowie die Regierung Myanmars erkennen das nicht an. Sie sehen in den Rohingya illegale Einwanderer aus der Zeit noch vor der britischen Herrschaft. Kurz nach der Unabhängigkeit Myanmars, 1948, waren die Rohingya kurz als ethnische Gruppe anerkannt und hatten staatsbürgerliche Rechte. Das endet jedoch mit dem Militärcoup im Jahr 1962. Spätestens dann beginnt eine systematische Diskriminierung, die bis heute andauert.

Wie ist die Situation der Rohingya in Bangladesch?

Desaströs. Allein in Kutupalog, dem größten Flüchtlingslager der Welt, leben rund 800 000 Menschen – 55 Prozent davon Kinder. Eigentlich ist Bangladesch für ihre Versorgung zuständig. Auch internationale Hilfsorganisationen sind vor Ort. Die Versorgung ist aber schlecht und es gibt kaum Ausbildungsmöglichkeiten. Ich weiß von zwei Studentinnen, die exmatrikuliert wurden, als die Universität erfuhr, dass sie Rohingya sind. Die Menschen müssen in den Lagern bleiben und sich anpassen. Ohne Internetzugang können sie sich kaum informieren. Vergewaltigte Frauen, die Kinder bekommen haben, werden in eigenen Baracken separiert. Das sind Menschen mit Traumata, die niemand behandelt.

Interview: Fabian Becker

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