Corona-Kampf im Wahljahr

Das politische Risiko der harten Linie

von Redaktion

MIKE SCHIER

Das politische Berlin steht vor einer äußerst heiklen Woche – der hektisch anmutende TV-Werbefeldzug der Kanzlerin deutet darauf hin, dass auch die Spitze nervös wird. Zumindest die Union will den Krisenszenarien ihrer Haus- und Hofvirologen folgen und auf Lockerungen der massiven Grundrechte-Einschränkungen verzichten. Sollte es so kommen, könnte das Grummeln frustrierter Familien, Selbstständiger, Kulturschaffender oder Wirtschaftsführer in offenen Unmut umschlagen.

Neben dem virologischen Risiko müssen die Akteure im Wahljahr auch ein politisches abwägen. Merkels Motivation ist klar: Im Bestreben, auch noch die letzte große Krise ihrer langen Amtszeit zu lösen, rennt ihr die Zeit davon. Sie will sich nicht auf der vierten oder fünften Welle verabschieden. Derweil blicken die Nach-Merkel-CDU und -CSU bereits auf die Wahl selbst. Vielleicht bahnt sich deshalb eine dezente Absetzbewegung von Jens Spahn (und womöglich seinem Tandempartner Armin Laschet) von der ganz harten Merkel/Söder-Linie an. Weil jede Woche längerer Lockdown die sozialen und wirtschaftlichen Nebenwirkungen verschärft.

Und Söder? Generell gilt: Wenn er etwas macht, dann nur zu 120 Prozent. Asyl, Umwelt, Pandemie. Immer mit wehender Fahne voran. Bei Corona ist er mit diesem Kurs sehr lange sehr gut gefahren. Doch ob die Lockdown-Entnervten ewig hören wollen, wie ihnen Söder mit sorgenzerfurchter Stirn sagt, sie sollten sich „nicht selbst belügen“? Das Risiko steigt, dass der Überdruss an der Pandemie auch ihre schärfsten Bekämpfer erfasst.

Mike.Schier@ovb.net

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