VON SUSANNE BREIT-KESSLER* Selbstporträts

von Redaktion

Selbstporträts haben Hochkonjunktur. Nach der wunderbaren Malerei von Albrecht Dürer, da Vinci, Artemisia Gentileschi, van Gogh, Paula Modersohn-Becker, von Renoir, Beckmann und vielen anderen gibt es in der Gegenwart Künstlerinnen wie Dasha Minkina, die diese sensible Kunst weitertreiben. Sie ist sich in einem kleinen Münchner Atelier malend selbst begegnet. „Alone. Pandemic Edition“ heißt die Ausstellung, die auf Besucher wartet. Irgendwann. Durch Glasscheiben immerhin konnte man Dasha Minkina von außen zusehen. Gesichter malen, fremde und das eigene – das ist eine Reise in vertraute und sehr ferne Welten. Handykameras machen es möglich, dass man sich und andere in jeder denkbaren Situation freudig ablichtet: Mit Maske im Bus, in „athletic leisure“, wie man Freizeitmode heute nennt, angetrunken auf dem Sofa oder auch entzückend verliebt im Freien. Alles schon in den sozialen Medien gesehen. Nicht immer das, was ich mir unter einer feinsinnigen Selbstbegegnung vorstelle, aber möglicherweise tatsächlich ein Blick auf das eigene Selbst. Maskenlos, unverstellt. Manch andere nehmen sich auf und korrigieren in derselben Minute alles, was nicht plakativ schön ist. Schade eigentlich. Alte und neue Kunst lehrt einen, sich selbst genau anzuschauen. Da sind die Augen. Meine werden tiefdunkel, wenn ich traurig bin, und sie sind ganz hell, sobald das Glück mich in seinen Armen hält. Freunde wissen sofort, was mit mir ist – und ich selbst natürlich auch. In vielen Gesichtern sind Falten, die Geschichten erzählen vom Leid und vom Lachen, von nachhaltigem Grant. Man kann sie zuordnen zum Erlebten, bei sich und auch bei anderen.

Gefühle verewigen sich oder huschen eilig über das Antlitz, festgehalten von einem Bild. Manch ein Gesicht verkehrt sich in eine schrecklich höhnische Fratze, die noch dazu lacht über die Toten dieser Zeit. Narben, so sie nicht wegretuschiert werden, halten eindrücklich fest, was einem Menschen widerfahren ist. Keine Entstellung, nein – ein Leben, eine Biografie, die einem Respekt abnötigt. Schatten und Licht wechseln oder bleiben.

Wenn außen Masken getragen werden müssen, könnte man doch in dieser Zeit nach innen schauen. Hinter die Masken, die man so tagtäglich trägt. Sich ansehen und das eigene Ansehen betrachten daraufhin, was echt ist, wahrhaftig und was vielleicht nur Show. Oder sieht man bei sich selbst die Sehnsucht nach weniger Einsamkeit, mehr Miteinander? Selbstporträt – die Chance, sich in das eigene Leben hineinzufühlen und zu sein.

* Susanne Breit-Keßler ist Vorsitzende des Ethik-Rates. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen.

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