München – Es ist wieder eine dieser Doppel-Botschaften: Man dürfe sich bitte „nicht öffentlich mit Lockerungs-Fahrplänen überbieten“, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Aber er hoffe sehr, „dass wir spätestens zum Frühlingsanfang, spätestens an Ostern, wenn die Sonne scheint und man draußen sitzen und speisen kann, die Pandemie-Welle endgültig gebrochen haben“.
Ist das nun ein Fahrplan oder nicht? Via „Bild“ wirbt Altmaier für Zurückhaltung am Mittwoch beim neuen Gipfel der Ministerpräsidenten mit dem Bund. Altmaier distanziert sich von Null-Covid-Strategien, warnt aber vor Mutationen.
Viele Politiker äußern sich ähnlich. „Wenn die Zahlen sinken, und das tun sie, dann haben wir mehr Perspektiven“, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Man könne regional differenzieren. Doch sollte man nichts überstürzen. „Sicherheit ist, glaube ich, am Ende der beste Ratgeber.“ Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD), der die Länder koordiniert, sagt: „Wir müssen sehr vorsichtig sein, damit wir unseren hart erkämpften Erfolg nicht wieder verspielen.“
Die Papiere zur Vorbereitung des Gipfels kursieren noch nicht. Eine grobe Linie ist aber erkennbar: Der Lockdown wird um mindestens zwei Wochen bis Ende Februar verlängert, Gastronomie, Kultur und große Teile des Handels bleiben geschlossen. Friseure könnten unter Hygieneregeln vielleicht öffnen, das deutet selbst Söder an.
Bei den Schulen ist der Kurs noch nicht klar. Noch nicht mal in der CSU ist die Linie eindeutig. Die Familienkommission der Partei warnt in einem neuen Papier vor einer Überlastung durch Heimarbeit, Homeschooling und Betreuungsnöte. Grundschulkinder und weitere Abschlussklassen müssten „sobald es das Infektionsgeschehen zulässt“ wieder in den Präsenzunterricht kommen.
Die Parteispitze, trotz einzelner zaghafter Gegenstimmen aus der Fraktion allein tonangebend, ist deutlich zurückhaltender. Berichte, die britische Virusmutation greife bei Schülern viel stärker um sich, alarmieren Söder und seine Getreuen. Heute früh soll ein Schulgipfel bei Söder weitere Klarheit bringen. Intern gilt eine Lockerung bei den Kitas als möglich, im Schulbereich herrscht größere Skepsis. Präsenz-Pläne wie aus dem kleinen Bremen will er keinesfalls schon mitmachen.
Zur britischen Mutation gibt es nun langsam Daten. Laut Robert-Koch-Institut machte B117 bis Ende Januar 5,8 Prozent aller Neuinfektionen aus. Das mag nach wenig klingen, aber die Mutation gilt als 30 bis 50 Prozent ansteckender. So könnte es zu einem verborgenen Effekt kommen: Die Zahlen sinken erst, zugleich verbreitet sich B117. Hat es die Oberhand, explodieren die Zahlen.
„Das Virus hat einen Raketenantrieb genommen“, sagte die Virologin Melanie Brinkmann dem „Spiegel“. Die neue Variante laufe sich im Hintergrund warm. „Wir kriegen niemals genügend Menschen geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen. Dieser Wettlauf ist längst vorbei.“ Brinkmann vertritt die umstrittene „No Covid“-Initiative, andere Virologen sehen das weniger dramatisch – etwa die Münchner Söder-Beraterin Ulrike Protzer („kein Grund zur Sorge – man muss es halt im Auge behalten“).
Die Angst: Selbst wenn es beim bisherigen Lockdown bleibt, könnten die Zahlen rasant steigen. Angenommen, die britische Mutante wäre 50 Prozent ansteckender als das bisherige Virus, dann wäre nach Berechnungen der „SZ“ schon Ende April eine Inzidenz von mehr als 1000 möglich. Ist B117 nur 40 Prozent ansteckender, verringert sich der Effekt auf eine Inzidenz von 300 Ende April. cd/mmä