Athen – Der Besuch auf Ikaria hatte eigentlich einen anderen Zweck: Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis wollte den Fortschritt der Corona-Impfungen auf der abgelegenen Ägäis-Insel begutachten. Zur Visite am Samstag begleiteten ihn dutzende Minister, Regierungsbeamte, Parteifreunde der konservativen Nea Dimocratia (ND) und Gesundheitsbeamte. Sie folgten Mitsotakis vor laufenden Kameras auf Schritt und Tritt.
Nach dem Auftritt im Impfzentrum folgte am Mittag der inoffizielle Teil des Besuchs. Das Treffen im Haus des lokalen ND-Abgeordneten Christodoulos Stefanadis sollte ohne Öffentlichkeit stattfinden, doch das misslang. Plötzlich tauchten Fotos und ein Video auf. Darauf zu sehen: Mitsotakis und Co., wie sie – dicht an dicht – über eine Treppe zu Stefanadis‘ Balkon gehen und später ohne Abstand gemeinsam essen. Selbstredend ohne Mundschutz.
Die angesehene Internetseite www.news247.gr veröffentlichte das Material noch am Samstag. Die Reaktion in der griechischen Bevölkerung war gewaltig. In den sozialen Medien, vor allem bei Twitter, entwickelte sich die Nachricht im Eiltempo zum Trend, mit überwiegend grob abschätzigen Kommentaren der Nutzer über Mitsotakis.
Kein Wunder, der peinliche Fehltritt ereignete sich nämlich just an dem Tag, als landesweit verschärfte Corona-Regeln in Kraft traten. Mitsotakis’ Regierung hatte sie angesichts von 6000 Corona-Toten erst am Freitag beschlossen. Seitdem gelten strenge Auflagen für den Einzelhandel und eine Ausgangssperre an Wochenenden ab 18 Uhr. Die Gastronomie bleibt dicht. All das kommt zum ohnehin strengen Lockdown hinzu, der seit 7. November gilt. Bei Regelverstößen drohen Strafen in Höhe von 300 Euro.
Dass sich ausgerechnet der Regierungschef nicht an die eigenen Regeln hält, ist für die Griechen ein großer Aufreger. Hinzu kommt: Mitsotakis ist ein Wiederholungstäter. Am 29. November, also nach Beginn des Lockdowns, war er mit seiner Frau in einem Wald am Berg Parnitha nördlich von Athen mountainbiken und hatte dicht an dicht mit fünf Motocross-Fahrern, die dort zufällig trainierten, für Selfies posiert. Keiner trug eine Maske. Tage später entschuldigte sich Mitsotakis in einem TV-Interview. Eine Geldstrafe gegen ihn wurde aber nicht verhängt.
Das Treffen auf Ikaria prangerten alle Oppositionsparteien an. Die Bilder seien „provokativ“ und „beleidigend“, den Premier bezeichneten sie als „unverantwortlich arrogant“. Mitsotakis’ Vorgänger, der jetzige Oppositionsführer Alexis Tsipras von der linken Partei Syriza, schrieb auf der Plattform Instagram: „Der weise Mann macht den gleichen Fehler nicht zweimal.“ Der Verstoß zeige „tiefe Arroganz und Angeberei. Ich bin an der Macht und ich mache, was ich will. Und warum? Weil ich das tun kann.“
Der ND-Abgeordnete Stefanadis beteuerte, beim Essen seien alle vorbeugenden Gesundheitsmaßnahmen getroffen worden. Regierungssprecher Christos Tarantilis sagte, der Kritik der Opposition fehle es „an Ernsthaftigkeit“. Bei künftigen Terminen des Premiers werde man aber alle Anstrengungen unternehmen, um „einen falschen Eindruck zu vermeiden“.
Eine Strafe gegen Mitsotakis, Stefanadis oder andere Teilnehmer des Essens wurde nicht verhängt. F. BATZOGLOU