München – In der CSU-Fraktion gibt es gerade zwei Welten. Der Abgeordnete Klaus Steiner, 67, Familienvater, ist schwer an Corona erkrankt. Es gab Nächte, schildert er, da bekam er kaum noch Luft. „Da kriegt man es mit der Angst zu tun, ob man das überlebt und welche Schäden man davonträgt.“ Er erzählt, dass er für schnelle Impfungen gebetet habe, die auch vor Mutationen schützen. Steiner geht es langsam etwas besser. Bleiben wird ein Zorn auf alle, die Corona unterschätzen, gar leugnen. „Unsere Freizeitgesellschaft hat die Fähigkeit verloren, sich auf Krise einzustellen, Kontakte absolut zu reduzieren.“ Bürgerrechte seien ein absolut hohes Gut, mahnt er, „aber das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Leben, ist noch höher“.
Daneben gibt es in der CSU-Fraktion die andere Welt: Abgeordnete warnen immer lauter davor, der Kontaktreduktion alles unterzuordnen. Sie fordern schnellere Öffnungen, Perspektiven, zumindest einen Plan. Viele trauen sich nur halblaut. Aber Ilse Aigner, die Chefin der Oberbayern-CSU und Präsidentin des Landtags, forderte binnen weniger Tage mehrmals von Ministerpräsident Markus Söder einen Stufenplan zur Lockerung. Die CSU München verlangt in einem Antrag – der sich nicht gegen Söder richtet – das Ende der Ausgangssperre in der Stadt, offene Kitas, Wechselunterricht an den Grundschulen und eine leichte Lockerung der Kontaktregeln.
Eine Fraktion, zwei Welten – und beide Argumente berechtigt. Irgendwo dazwischen, näher bei Steiner, steht nun Söder, mehr denn je unter Druck. Morgen schalten sich die 16 Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel zusammen. Sie wollen den Lockdown verlängern, zwei Wochen mindestens, aber auch ausloten, wie viel Lockerung drin ist.
Kitas, Grundschulen – was zu hören ist, gibt es da Spielraum, dazu auch eine Wiedereröffnung der Friseure. Wer mit Söder spricht, hört aber raus: An die Spitze dieser Bewegung mag er sich nicht stellen. „Der Trend macht Hoffnung, aber es ist leider noch nicht vorbei“, sagt er unserer Zeitung.
Söder wehrt sich gegen Stufenpläne. „Feste Stufenpläne klingen verlockend, können aber rasch zu Enttäuschung führen. Corona ist schwer planbar: Heute alles in Ordnung und morgen ein Hotspot.“ Söder appelliert (auch an die eigenen Leute), es sei „klüger, lieber vorsichtig als leichtsinnig zu sein. Natürlich werden wir erleichtern, wenn die Zahlen stimmen. Schritt für Schritt.“
Wenig Bewegung dürfte es für den Handel geben. Auch wenn das einige der murrenden Abgeordneten fordern und es der Koalitionspartner anheizt. Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger sagt im „BR“, im Einzelhandel komme es kaum zu Infektionen, man könne schnell öffnen. Söder macht die aktuelle Unruhe eher an den schleppenden Hilfszahlungen vom Bund fest. „Auch wenn Öffnungen derzeit nicht möglich sind, braucht es schnell die Auszahlung der versprochenen Bundeshilfen. Das dauert alles viel zu lange.“
Das Murren in den eigenen Reihen will Söder nicht überbewerten – aber dämpfen. Am Freitag ist eine längere CSU-Fraktionssitzung eingeplant. Und an Partner Aiwanger erteilt er einen Arbeitsauftrag: Er möge sich „bei seinem Kollegen in Berlin für eine beschleunigte Auszahlung einsetzen. Für viele Einzelhändler geht es nämlich um die Existenz.“
Ein bisschen lockern – aber das möglichst nicht betonen? Es scheint so, als wäre das Söders Kurs für diese Woche. Auch beim für ihn nächsten Ärgernis, das diesmal aus Baden-Württemberg anrollt. Dort hat ein Gericht soeben die landesweite Ausgangssperre gekippt. Die grün-schwarze Regierung will nun Ausgangssperren nur noch in Hotspots und sagt fröhlich, man rede seit Wochenende mit den Söder-Leuten, das im Gleichklang zu lockern.
Bis Aiwanger hier einstimmt, wird nur Stunden dauern. Und Bayerns FDP stellt Söder gleich ein Ultimatum. Entweder die landesweite Ausgangssperre falle diese Woche, oder man klage gegen die Regelung.