„Der Lockdown zerstört Existenzen“

von Redaktion

Die CSU bremst, die Freien Wähler drängeln: Bei den Lockerungen hat Bayerns Koalition einen massiven Dissens. Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger formuliert nun klare Vorgaben an Markus Söder, was der Regierungschef heute in Berlin aushandeln soll. Vor allem für den Einzelhandel verlangt Aiwanger Schritte.

Sie kommen gerade aus dem Koalitionsausschuss. Zur Sicherheit: Steht Bayerns Koalition noch?

Natürlich. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber Freie Wähler und CSU sind ja auch zwei verschiedene Parteien.

Welches Aufgabenheft geben Sie Söder mit zur Merkel-Runde am Mittwoch nach Berlin?

Ich wünsche mir, dass neben Friseuren der Handel jetzt Luft bekommt und Schulen und Kitas schrittweise wieder öffnen. Wir richten einen zunehmenden Schaden mit dem Lockdown an. Es gibt doch belastbare Zahlen, dass im Handel das Infektionsgeschehen unterdurchschnittlich ist. Berlin ist zu zögerlich.

Öffnen jetzt? Öffnen bald? Öffnen irgendwann?

Ich würde Mitte Februar die genannten Bereiche wieder öffnen, wenn ich in Berlin die Weichen stellen könnte.

Wo sehen Sie noch Potenzial für Lockerungen – Hotels? Gastronomie?

Der Bereich Tourismus ist auf die lange Bank geschoben, nach dem Handel frühestens im März. Auch hier würde ich Perspektiven sehen, aber die sind aus Berlin realistisch noch nicht zu erwarten.

Kinos?

Auch die wären im Zuge mit Tourismus zu nennen und hätten gute Hygienekonzepte. Leider werden Kultur und der ganze Veranstaltungsbereich hintangestellt.

Die Politik nannte monatelang eine Inzidenz von 50 als Ziel. Gilt das? Ist das der richtige Maßstab?

Wir sollten uns an mehreren Faktoren orientieren: die Inzidenz, die sinkende Belastung der Krankenhäuser, die Dauer des Lockdowns, der Stand der Impfungen, das Niveau von Tests und Hygienekonzepten. Wir könnten die Corona-Krise mit den vorhandenen Werkzeugen deutschlandweit besser managen, als wir es derzeit tun. Und was die Zahl 50 betrifft: Wir sollten inzwischen mit moderner Technik auch in der Lage sein, bei höheren Inzidenzen die Kontakte Infizierter nachzuverfolgen. Diese Zahl ist nicht in Stein gemeißelt.

Wenn lockern, dann bayern- oder landkreisweit?

Kommt auf die Branche an. Wir würden natürlich gerne viel landesweit regeln. Aber wenn wir ein Auseinanderklaffen der Kreise haben, Inzidenzen unter 30 und über 350, dann müssen wir für solche großen Spreizungen verschiedene Regeln anwenden. Konkret: Grundschulen können regional öffnen. Den Handel können wir nicht nur landkreisweit öffnen.

Sehen Sie eine Chance, die Kontaktregeln zu lockern, wenigstens in Bayern?

Bei der Ausgangsbeschränkung muss etwas passieren. Die landesweite 21-Uhr-Regelung können wir nicht in bisheriger Form verlängern bei den sinkenden Zahlen. In den privaten Kontaktbeschränkungen sehe ich durchaus Sinn, würde aber unterscheiden, ob Treffen innerhalb der Wohnung oder im Freien stattfinden. Natürlich will man nicht stundenlange Treffen von zwei Großfamilien im Wohnzimmer. Aber zwei Ehepaare können doch gefahrlos im Freien gemeinsam spazieren gehen!

Boshaft gefragt: Sie wollen alles aufsperren und lockern. Wenn was passiert, ist aber Söder schuld. Ist das die Arbeitsteilung?

Nein. Wenn aufgesperrt wird und es würde etwas passieren, gäbe es genügend Leute, die sagen: Der Aiwanger wollte doch öffnen. Wichtiger ist, dass wir genauer darauf schauen, wie viele Existenzen jetzt schon jeden Tag zerstört werden. Auch dafür wird die Politik verantwortlich gemacht.

Wie könnten Testkonzepte ausschauen, mit denen man Öffnungen begleitet?

An den Schulen wären Pool-Lösungen gut: Die ganze Klasse gibt einen Test ab, wenn der positiv ist, werden alle Schülerproben einzeln analysiert. Das gibt schnell Sicherheit bei geringen Kosten, vielleicht genügen auch Gurgeltests oder einfache Abstriche. Solche Tests könnten mehrmals wöchentlich, vielleicht täglich, in jeder Klasse ablaufen, wenn nötig. Wir werden erleben, dass sich diese Teststrategie auch in den Betrieben durchsetzt als Teil des Arbeitsschutzes – vom Schlachthof bis zum Hotel, vielleicht auch mal vor Familienfeiern.

Das Interview führte Christian Deutschländer

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