München – Der Ministerpräsident ist zeitlich verhindert, aber er hat eine stabile Stellvertreterin in der Landtagsdebatte. „Wenn wir zu früh öffnen, werden wir den gemeinsamen Erfolg des Lockdowns verspielen“, sagt sie. „Die Gefahr ist nicht gebannt. Es baut sich eine unsichtbare Welle auf.“ Markus Söder hätte es kaum besser sagen können. Aber am Pult steht Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der Grünen.
Wieder mal wird an diesem Nachmittag im Parlament die unsichtbare Koalition erlebbar, die Bayerns rigiden Corona-Kurs stützt: Mit den Grünen trägt die größte Oppositionsfraktion die Eckpunkte der Lockdown-Politik mit. Freilich, Schulze kritisiert Details scharf, die technische und personelle Ausstattung der Gesundheitsämter zum Beispiel. Ihre schärfste Kritik richtet sich aber an den echten CSU-Koalitionspartner, die Freien Wähler und ihre Minister für Wirtschaft und Kultus. Den Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger veralbert sie als Lobbyisten der Einzelinteressen, der „Skilifte und Schuhläden“.
Neu sind diese informellen Bündnisse nicht, sie wirken so seit März 2020. Neu ist etwas anderes: dass der Landtag überhaupt über die anstehenden Corona-Schritte diskutiert. Bisher trafen sich die Abgeordneten ja stets zum nachträglichen Abnicken oder Maulen, ein, zwei Tage, nachdem Söder in Berlin längst alles ausverhandelt und in seinem Münchner Kabinett festgezurrt hat.
Erreicht hat das diesmal die kleine FDP mit dem Trick, ihr Vorschlagsrecht für eine „Aktuelle Stunde“ des Parlaments für eine Grundsatzdebatte zu nutzen. „Farbe bekennen, bevor Sie der Ministerpräsident vor vollendete Tatsachen stellt“, verlangt Fraktionschef Martin Hagen mit sanftem Spott in der Stimme von den Regierungsfraktionen, also den echten von CSU und FW. Ob das nun „Chance oder Bürde“ sei?
Inhaltlich zeigt sich: Der Landtag tendiert fast komplett zu leichten Lockerungen. Fast alle Fraktionen werben für ein Ende der Ausgangssperren, für geöffnete Kitas, teils auch Grundschulen und Friseure. Alle außer die AfD halten an der Maskenpflicht fest. Die CSU stichelt dabei, wäre man allen FDP-Forderungen gefolgt, stünde Bayern jetzt weniger gut da.
Die spannendere Sitzung an diesem Tag ist ohnehin nichtöffentlich. In der CSU-Fraktion bemüht sich Söder – dafür ist Zeit – anderthalb Stunden lang, zu große Lockerungswünsche zu zerstreuen. Mehrere Teilnehmer berichten, Söder warne eindringlich, die CSU dürfe sich ja nicht selbst schaden. Es gebe hohes Grundvertrauen der Bevölkerung, „nach zwölf Monaten dürfen wir jetzt nicht ins Wackeln kommen“.
Söder argumentiert erneut gegen Stufenpläne fürs Lockern. Man könne das „nicht an Zahlen festmachen im hochdynamischen Geschehen“. Die Fraktionsspitze stützt ihn. Wer an einen Aufstand in der Fraktion geglaubt hat, sieht diesen unter viel Beifall zusammensacken.
CSU-Oberbayern-Chefin Ilse Aigner, die letzte Woche als Einzige den Mumm zu Widerworten hatte und einen Stufenplan verlangte, bekennt sich klar zu Söders Strategie. Großflächige Öffnungen seien jetzt zu früh. Aber: Eine Perspektive für sinkende Inzidenzen brauche man doch. Aigner rechnet damit, dass Bayern in zwei Wochen Klarheit hat, ob sich Mutationen durchsetzen. Ein Brandherd bleibt: Die Mittelstandsunion der CSU um Ex-Minister Franz Pschierer aus Schwaben fordert die schnelle Öffnung von allem, inklusive Hotels und Gastronomie. cd