„Herr Söder, ich spreche mit Ihnen“

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Die Regierungsbank kann auch ein Ort der Entspannung sein. Als Markus Söder seine Rede gehalten hat, wie immer saftig und voller Corona-Einpräg-Sätze, setzt er sich hin – und hält ein Schwätzchen. Am Pult steht inzwischen Ludwig Hartmann, das Wort „erbärmlich“ fällt, aber Söder zuckt nicht mal. „Herr Ministerpräsident“, sagt der Grüne genervt, „ich spreche mit Ihnen.“ Und als auch das nicht hilft: „Es wäre gut, wenn Sie sich zumindest nicht wegdrehen.“

Es ist ein neuer Ton in der ewigen Corona-Debatte. Dass er ausgerechnet von den Grünen kommt, die die Maßnahmen bisher klagloser unterstützten als Söders Koalitionspartner, ist durchaus bemerkenswert. Offenbar ist auch die grüne Geduld endlich.

Hartmann jedenfalls äußert sich unmissverständlich: Ja, der Lockdown zeige Wirkung, sagt der Fraktionschef. Aber es fehle an einer Idee für die Zukunft. Hartmann fordert einen „klugen Stufenplan“, der, je nach Inzidenzwerten, gezielte Lockerungen erlaubt. „Aber Sie pfuschen und stolpern nur munter weiter“, wirft er Söder vor, „ohne Strategie.“ Die wachsende „Pandemiemüdigkeit“ sei ähnlich gefährlich wie das Virus selbst.

Der Ministerpräsident streitet das nicht ab. „Alle sind wir am Limit“, sagt er in seiner Rede, „das ganze Land, wir hier vielleicht auch.“ Im Grundsatz aber verteidigt Söder die Lockdown-Verlängerung bis 7. März, die Grenzkontrollen ab Sonntag („einmal Ischgl reicht“) und die Öffnung der Friseure („es geht um Hygiene und Würde“). Ausdrücklich kritisiert Söder die bekannt gewordenen Fälle von Impf-Drängelei, etwa im Umfeld der schwäbischen Arbeiter-Wohlfahrt (AWO). Es könne nicht sein, dass „eher ein Büro komplett geimpft wird, anstatt die über 80-Jährigen, die es dringend brauchen und darauf warten“.

Stellenweise wirkt Söders Regierungserklärung wie ein Best-of aller Vorgänger-Reden. Begriffe wie Umsicht, Weitsicht und Klugheit fallen immer wieder – sie sollen die Politik der Staatsregierung umschreiben. In Nuancen ändert allerdings auch der CSU-Chef seinen Ton. Er entschuldigt sich bei Bayerns Kulturschaffenden für den entstandenen Eindruck, sie seien nicht systemrelevant. „Ich bedauere das, das war falsch.“ Hilfen für Solo-Selbstständige sollen verlängert, staatliche Flächen für Kulturveranstaltungen geöffnet werden. Dem Einzelhandel stellt er als kleine perspektivische Stütze verkaufsoffene Sonntage in Aussicht. Insgesamt, sagt er, habe sich die Corona-Situation aufgehellt.

Eine echte Perspektive ergibt sich daraus nicht – das ist die Kernkritik auch von SPD-Fraktionschef Horst Arnold. „Ihre Ankündigungen verdienen nicht das Wort Strategie“, sagt er und spricht von einem „Perspektivdesaster“. Dass die Fraktionen die neue Infektionsschutzverordnung außerdem erst wenige Minuten vor Beginn der Plenarsitzung erhalten haben, nennt Arnold „ignorant“. FDP-Fraktionschef Martin Hagen wundert sich vor allem über Söders Sympathien für die umstrittene „No-Covid-Strategie“. Dies sei eine „bemerkenswerte Radikalisierung“, sagt er. AfD-Fraktionschef Ingo Hahn erklärt, die Politik der Staatsregierung habe in eine „Eiszeit“ geführt.

Es gibt nicht viel zum Lachen an diesem Tag, nun ja, mit einer Ausnahme. Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibel greift das Dauer-Knarzen in der Bayern-Koalition auf. Söder und Hubert Aiwanger, das sei ja nichts anderes als ein „bayerisches Yin und Yang“, sagt er. Bei dem Satz dreht sich der Ministerpräsident ganz von selbst um.

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