Stuttgart – Gerlinde Kretschmann (73) ist ganz anders als ihr Mann. Schön zu beobachten zum Beispiel beim Landespresseball, wenn nicht gerade Corona ist: Er, ganz ungewohnt, im Smoking und trotzdem mit seinen berühmten Entenschuhen, nur eben in Schwarz, trottet hinter seiner Frau her. Sie stürmt voraus in einem kunterbunten Kostüm, scheint alle zu kennen. Die First Lady ist ansteckend fröhlich. Doch das jetzt von ihr die Rede ist, hat einen traurigen Anlass. Gerlinde Kretschmann hat Brustkrebs. Und ihr Mann hat das öffentlich gemacht – mitten im Wahlkampfendspurt.
Warum macht er das? Weil aufgefallen ist, dass sich der 72-Jährige etwa am Freitag bei zwei Runden mit den Spitzenkandidaten vertreten lässt. Mit seiner schriftlichen Erklärung will der Grüne allen Spekulationen den Boden entziehen. Er muss seiner Frau beistehen und tritt bei politischen Terminen – auch im Wahlkampf – kürzer.
Die beiden sind seit 1975 verheiratet, haben drei Kinder und erste Enkel. Doch eigentlich hat der Ministerpräsident für Privates gerade keine Zeit: Es ist mehr als ein Fulltime-Job das Virus zu bekämpfen. Und der Sieg bei der Landtagswahl am 14. März gegen den momentanen kleinen Koalitionspartner CDU ist kein Selbstläufer.
Auffällig in der Erklärung vom Freitag: Kretschmann sagt nicht ausdrücklich, dass er trotz der schweren Erkrankung Spitzenkandidat der Grünen bleiben wird. Sein Sprecher und Vertrauter Rudi Hoogvliet antwortet auf die Nachfrage, ob Kretschmann über einen Rückzug nachgedacht habe: „Das steht nicht im Raum.“ Doch Kretschmanns Erschütterung ist aus den Sätzen der Erklärung herauszulesen: „Es geht ihr den Umständen entsprechend, aber es kommen nun schwere Zeiten auf sie zu. Ich will für sie da sein, so gut es geht.“
Wahlkampf ohne Kretschmann? Der Altstar prangt von so gut wie jedem Wahlplakat der Grünen im Ländle. Und trotzdem ist das auf den ersten Blick kein Beinbruch: In Corona-Zeiten gibt es sowieso kaum Wahlkampf, geschweige denn in Präsenz. Und trotzdem ist das für die Grünen im Land und im Bund im Superwahljahr ein schwerer Schlag. Denn: Es verstärkt die Zweifel, die es gibt, seit Kretschmann entschieden hat, ein drittes Mal anzutreten. Die bohrenden Fragen lauten: Wie lange hält der Grünen-Oldie durch? Und wer würde sein Nachfolger, wenn er womöglich zur Hälfte der Wahlperiode abtritt, dann mit fast 75? Cem Özdemir aus Bad Urach etwa, der eigentlich mit seiner Familie in Berlin lebt?
Weil Winfried Kretschmann so beliebt ist, traut sich die politische Konkurrenz bisher kaum persönlich an ihn ran. Beim CDU-Parteitag vor drei Wochen stichelte CDU-Landeschef Thomas Strobl: „Bei den Grünen gibt es vor allem eine Idee und die heißt Winfried Kretschmann. Und dann ist nicht mehr viel. Und was kommt eigentlich danach?“
Doch Strobl, Vize-Ministerpräsident und Innenminister, muss vorsichtig sein. Wenn Kultusministerin Susanne Eisenmann (56), die ihn im Kampf um die CDU-Spitzenkandidatur ausgestochen hat, verliert, muss der 60-Jährige womöglich wieder mit den Grünen über eine Koalition verhandeln. Und danach sieht es in den Umfragen gerade aus. Zudem könnte es sein, dass Kretschmann in seiner dritten Amtszeit zu einer Ampel mit SPD und FDP wechseln will. Dann säße die CDU mit der AfD auf den Oppositionsbänken.
Es wird spekuliert, mit den kleineren Partnern wäre es womöglich einfacher als mit einer fast gleich starken CDU, mitten in der Wahlperiode den Regierungschef zu wechseln.