München – Man hätte es ahnen können. Anfang Januar, als sich der ruckelige Corona-Impfstart schon abzeichnete, wagte sich Gesundheitsminister Jens Spahn weit vor. Es werde für alle, die das wollen, ein Impfangebot im zweiten Quartal des Jahres geben, sagte der CDU-Politiker in der Unionsfraktion. Das Versprechen klang schon damals ambitioniert und hielt nur wenige Tage – bis die Kanzlerin es öffentlich kassierte.
Nun wiederholt sich die Geschichte. Spahns Ankündigung, ab 1. März werde es kostenlose Schnelltests für alle geben, hielt ebenfalls nur kurz, bis zur Sitzung des „Corona-Kabinetts“ am Montag. Wieder trat Angela Merkel auf die Bremse. Angeblich seien noch zu viele Fragen offen, hieß es. Etwa die nach den Test-Kapazitäten.
Seither ergießt sich jede Menge Ärger über den Minister. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) warf ihm gestern im ZDF vor, wiederholt Dinge angekündigt zu haben, die „so oder zumindest so schnell nicht kommen“. Das sei „keine lustige Situation.“ Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem „schweren Versagen“. Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Wirtschaftsinstituts, nannte es ein „gewaltiges Versäumnis“ der Politik, dass es noch immer keine Teststrategie gebe.
Der Ärger ist nachvollziehbar, weil an der Verfügbarkeit von Tests auch die Perspektive auf baldige Lockerungen der Corona-Maßnahmen hängt. Die löchrige Planung ist aber offenbar nur die sichtbare Seite der Wahrheit. Im Hintergrund scheint sich an der Schnelltest-Frage erneut ein Kampf um die richtige Corona-Strategie abzuspielen.
Spahns Plan sah vor, dass sich alle Bürger ab 1. März kostenlos testen lassen können, etwa in Apotheken oder Arztpraxen; auch Selbsttests sollten zugelassen werden. In Österreich ist beides bereits Teil der Öffnungsstrategie. Schüler etwa machen dort zwei Mal pro Woche selbst einen Nasenabstrich und wissen dann innerhalb einer halben Stunde, ob sie akut infektiös sind. Besonders ärgerlich aus bayerischer Sicht: Die Nachbarn kaufen einen Teil ihrer Tests im Freistaat ein, unter anderem beim schwäbischen Medizinprodukte-Hersteller MSP Bodmann. Mit ihren Bemühungen, für die Selbsttests auch hier eine Zulassung zu erwirken, beißt Geschäftsführerin Angela Bodmann aber bisher auf Granit, wie sie dem „BR“ sagte.
Laut Bundesregierung hat sich Deutschland für dieses Jahr 500 000 und auf europäischem Weg noch mal 300 000 Schnelltests gesichert. Ob die Voraussetzungen für den Beginn einer Test-Offensive gegeben sind, ist dennoch fraglich. Nun sollen Bund und Länder am 3. März beraten. Für Spahn, der als ambitioniert gilt und mittelfristig das Kanzleramt anpeilt, ist die Verzögerung maximal ärgerlich – sie passt aber ins Bild.
Denn er und die Kanzlerin sind seit Langem auf unterschiedlichen Spuren unterwegs. Augenfällig wurde das, als der Minister im vergangenen Jahr eine Impfallianz mit Frankreich, Italien und den Niederlanden vereinbarte, bis Merkel reingrätschte und die Beschaffung der EU überließ. Spahn, heißt es, ließ die Information durchsickern, seither ist das Verhältnis zu Merkel beschädigt. Nun kommt eine zweite Konfliktlinie hinzu: Während er und CDU-Chef Armin Laschet für eine mutigere Öffnungspolitik stehen, setzen Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder auf Vorsicht. Im Laschet-Lager nimmt man die Test-Verzögerung deshalb als Retourkutsche wahr.
Die Regierung tut sich damit insgesamt keinen Gefallen. Einer „Spiegel“-Umfrage zufolge glauben nur noch 40 Prozent der Bürger, dass die Koalition die Corona-Herausforderung bewältigen kann. 45 Prozent haben eher ein geringes oder gar kein Vertrauen in die Corona-Kompetenz der Regierenden.
Neuer Termin für den Start der kostenlosen Schnelltests könnte nun der 8. März sein. Für Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus sind sieben Tage Verzögerung kein Beinbruch. Gestern sagte er: Entscheidend sei, „dass es vernünftig organisiert wird“.