München – Viel Zeit hat die Bundesregierung nicht benötigt, um auf die Vorwürfe aus Brüssel zu reagieren. Am Montag erst hatte die EU-Kommission in einem Brief an den deutschen EU-Botschafter die Grenzkontrollen und Einreiseverbote an den Übergängen zu Tschechien und Tirol deutlich kritisiert. Um Antwort wurde zeitnah gebeten: innerhalb von zehn Arbeitstagen. Schon gestern aber kam Berlin der Forderung nach.
Die rasche Reaktion soll auch ein Signal sein, dass man sich mit den Maßnahmen auf juristisch sicherem Terrain wähnt. „Ich weise den Vorwurf von uns, dass wir uns nicht an das EU-Recht halten“, sagte Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) gestern vor einer Video-Konferenz mit seinen EU-Kollegen. Deutschland habe auf „die besondere Bedrohung“ durch Virus-Mutationen re-agieren müssen. Weil sich an diesem Szenario nichts geändert habe, lenkte die Bundesregierung nicht nur nicht ein. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verlängerte die Maßnahmen gestern vielmehr um acht Tage.
Die Verstimmungen zwischen Brüssel und Berlin sind enorm. Das zeigt sich allein schon daran, dass man sich sogar in der Frage uneinig ist, ob sich jenseits der deutsch-tschechischen Grenze tatsächlich eine Mutation des Coronavirus ausgebreitet hat. Die EU-Kommission bestreitet dies. Zwar sei in Tirol der Anteil der südafrikanischen Virus-Variante tatsächlich hoch. Dies sei aber in Tschechien nicht der Fall. Und auch die britische Variante tauche dort nur vergleichsweise wenig auf. Allerdings, das sagt die EU nicht, umso häufiger in der Slowakei.
Aus deutschem Munde klingt das anders. Bei einem Besuch am Grenzübergang im sächsischen Breitenau hatte Seehofer bereits vergangene Woche angekündigt, es sei sehr wahrscheinlich, „dass wir verlängern müssen, weil sich die Mutationslage noch nicht entscheidend verändert hat“. Seinen Unmut über Brüssel und dessen Kritik hatte er bereits zuvor unmissverständlich ausgedrückt („Jetzt reicht’s!“).
Auch in Bayern reagiert man verschnupft. „Die Grenzkontrollen sind nicht unverhältnismäßig, sie sind erforderlich“, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU). Manche hätten es noch immer nicht verstanden, dass ein Einschleppen von Mutationen wieder „zu enormen Schwierigkeiten“ führe. Zudem müsse man sehen, dass in Tschechien die Inzidenz bei bis zu 1400 liege.
Die Verlängerung reicht bis 3. März, mindestens so lange gelten Tschechien, Slowakei und weite Teile Tirols als Virus-Variantengebiete. Von dort dürfen nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gibt es unter anderem für Lkw-Fahrer und Grenzgänger mit systemrelevanten Berufen. Das reicht der Kommission nicht. Sie beklagt, Deutschland gewähre weniger Freiheiten als in einer EU-Empfehlung festgelegt. So gebe es keine Ausnahmen für Familien, die beiderseits der Grenze lebten.
Roth betont, der Schutz der Bevölkerung vor Mutationen habe „oberste Priorität“. Ziel sei es, die Kontrollen „so schnell wie irgend möglich“ wieder aufzuheben. Im Grenzgebiet zu Frankreich wolle man sie ganz vermeiden. Dazu gab es gestern ein Gespräch mit der französischen Seite und den Ländern Baden-Württemberg, Saarland und Rheinland-Pfalz. Beide Seiten hätten „ein Signal setzen“ wollen, „dass es auch ohne die Wiedereinführung von Grenzkontrollen gehen sollte“. Und das, obwohl es im französischen Bezirk Mosel eine unstrittig hohe Verbreitung der südafrikanischen Variante gibt. mb