Stoppt der Frühling das Virus?

von Redaktion

VON STEFAN REICH

München – Wetterbedingungen spielen im Zusammenhang mit viralen Atemwegsinfekten unbestritten eine Rolle. „Das ist ziemlich sicher auch für Sars-CoV-2 so“, sagt Marco Binder, Molekularbiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum. Das zu beziffern sei aber noch schwer.

Erst ganz langsam ergibt sich ein Bild davon, wie Wetter und das neue Coronavirus zusammenwirken. Die Wirkung jahreszeitlich schwankender Umwelteinflüsse auf das Virus selbst sind im Fall von Sars-CoV-2- wohl von geringer Bedeutung. Die UV-Strahlung der Sonne kann das neuartigen Coronavirus selbst im Sommer nicht schnell genug zerstören, um die sekundenschnelle Übertragung durch Husten, Niesen oder Sprechen zu verhindern. Das bestätigten kürzlich Wiener Forscher im Labor.

Auch sommerliche Temperaturen verkürzen die Lebensdauer des Virus, aber nicht so, dass Tröpfcheninfektionen verhindert würden. Die Temperatur spielt eher für Aerosolbildung in kühlen Räumen wie in Schlachthöfen eine Rolle.

Dennoch gibt es Berichte über Zusammenhänge von Außentemperatur und Pandemie-Geschehen. Chinesische Forscher etwa haben Temperatur und Häufigkeit von Corona-Fällen in 100 chinesischen Städten und über 1000 Landkreisen in den USA betrachtet. Nach dem Herausrechnen von Faktoren wie Altersstruktur oder Mobilität kamen sie zu dem Ergebnis: Höhere Temperaturen reduzieren die Reproduktionsrate, aber warmes Wetter reicht nicht, um die Pandemie zu stoppen.

Ein Forscher-Team mehrerer US-Universitäten ist noch zurückhaltender. Es betrachtete den Pandemieverlauf weltweit, verglich unterschiedlichste Regionen auf Nord- und Südhalbkugel und kam zum Schluss: das Klima hat, wenn überhaupt, nur geringe Effekte. Zu betrachten sei, wann die Pandemie eine Region erreicht habe, wann dort wie viel getestet worden sei und zu welchen Zeitpunkten Lockdown- oder Hygiene-Maßnahmen galten. Das mache es schwer zu sagen, ob ein Zusammenhang zwischen Wetterveränderung und Infektionsgeschehen bestehe oder nur Gleichzeitigkeit. Den anfänglich vermuteten starken Temperatureffekt jedenfalls hätten Südafrika oder Brasilien widerlegt.

Forscher wie der Bonner Virologe Hendrik Streeck gehen dennoch davon aus, dass sich in Deutschland für Sars-CoV-2 eine Saisonalität einstellen dürfte, wie sie etwa bei Influenza oder anderen Coronaviren klar nachweisbar ist. Doch noch unterscheiden sich bei den meisten Menschen die Fähigkeiten des Immunsystems. Bereits bekannten Gegnern hat es erst bei Schwächung durch das Winterwetter nicht mehr genug entgegen zu setzen, sagt Binder. „Das gilt für Sars-CoV-2 noch nicht.“ Da sei das Immunsystem der meisten Menschen noch völlig untrainiert und somit zu allen Jahreszeiten wenig wehrhaft.

Trotzdem geht Binder von geringen saisonalen Effekten aus, die bereits zum Tragen kommen. Auch weil in ausgekühlten Schleimhäuten unabhängig von Vorerfahrungen des Immunsystems einige frühe Abwehreffekte schlechter griffen. Das könne auch auf die Schwere von Covid-19-Verläufen wirken.

Kanzleramtschef Helge Braun beziffert den für Deutschland anzunehmenden saisonalen Effekt kürzlich auf bis zu 20 Prozent. Diesen Wert könne man anhand der Erfahrungen mit der Grippe annehmen, sagte kürzlich die Physikerin Viola Priesemann, die in Göttingen die Corona-Ausbreitung mathematisch erforscht. Das könne beispielsweise einen Reproduktionswert von 1,0 auf 0,7 senken. Das bedeute bei sonst unveränderten Bedingungen einen langsamen Rückgang der Infektionszahlen statt einer Stagnation.

Gleichzeitig aber würde der Effekt von den ansteckenderen Virusmutationen überlagert, so Priesemann. Auch dass vermehrt private Kontakte draußen stattfinden könnten, müsse nicht automatisch positiv wirken. Denn derzeit fänden solche Kontakte fast gar nicht statt.

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