München – Der Vorrat schrumpft nur langsam. 223 200 Dosen Astrazeneca wurden bisher laut Bundesgesundheitsministerium nach Bayern ausgeliefert. Verimpft waren davon aber bis zum Montag nur 29 000, bis zum Dienstag 35 000 und bis zum Mittwoch 41 000. So steht es in der Statistik des Robert-Koch-Instituts. Und das ist kein singulär bayerisches Problem. In Baden-Württemberg stehen 194 000 gelieferten Astrazeneca-Dosen sogar nur 12 000 Verimpfungen entgegen – eine Quote von gerade mal 6 Prozent. Ähnlich schlecht sind die Werte auch in Sachsen oder Hessen. Im Gesamtbild ergibt sich eine verblüffende Bilanz: Von bisher 1,44 Millionen bundesweit gelieferten Astrazeneca-Dosen haben bis gestern nur 238 556 den Weg in einen Arm gefunden.
Ist Astrazeneca also wirklich ein Ladenhüter? Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) verweist gegenüber unserer Zeitung auf einen gewissen Meldeverzug. Doch auch er bestätigt, dass immer wieder Impfwillige Astrazeneca ablehnen. Ärzte berichten davon, dass in manchen Impfzentren sogar rund ein Viertel der Angemeldeten wieder absagt, sobald klar ist, dass sie den Impfstoff von Astrazeneca bekommen sollen. Und auch der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) bestätigt diesen Eindruck. Jeden Tag blieben viele Dosen des Vakzins liegen, sagt Thomas Mertens den „Funke“-Zeitungen. Die Gründe, aus denen Astrazeneca in der Bevölkerung offensichtlich eine niedrigere Akzeptanz genießt als die ebenfalls zugelassenen Wirkstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, bezeichnet der Stiko-Chef als „weitgehend irrational“.
Das Corona-Vakzin von Astrazeneca wird in Deutschland nur in der Altersgruppe bis 65 Jahre verimpft und stößt teils auf Vorbehalte, weil seine Wirksamkeit beim Schutz vor einer Corona-Infektion mit rund 70 Prozent angegeben wird. Die Wirksamkeit der Produkte der Mainzer Firma Biontech und ihres US-Partners Pfizer sowie des US-Unternehmens Moderna wird hingegen mit deutlich über 90 Prozent beziffert. Astrazeneca führt allerdings ins Feld, sein Präparat schütze zu „mehr oder weniger 100 Prozent vor den schweren Verläufen der Erkrankung“.
Nicht ganz unbeteiligt am schlechten Image des britisch-schwedischen Impfstoffs dürfte auch Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery sein. Dessen Aussage, Medizinisches Personal und Pflegekräfte sollten aufgrund des hohen Infektionsrisikos nicht mit Astrazeneca geimpft werden, sorgte in der Ärzteschaft für einen Sturm der Entrüstung. Auch in der Staatsregierung war der Ärger groß.
Wie Gesundheitsminister Holetschek plädiert nun auch Ministerpräsident Markus Söder dafür, den Ablauf der Impfungen zu überdenken. „Das ist ziemlich ätzend, diese Geschichte mit Astrazeneca“, sagt Söder in einem Online-Gespräch der „Bild“ mit Kindern. Und: „Wir müssen diese Impfpriorität nochmal echt klug wägen. Ehrlich gesagt, schon in den nächsten Wochen, wenn man sieht, wie viel bleibt da übrig von Astrazeneca.“
Allein ist Bayern nicht. Auch im Bundestag werden Stimmen für mehr Flexibilität laut. „Im Moment haben wir ja mehr Menschen, die geimpft werden wollen, als dass wir Impfstoff hätten“, stellt der Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel (CDU) fest. Und der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider will „nicht mehr sklavisch an der Priorisierung festhalten“, wenn etwas übrig bleibt.
Unwahrscheinlich ist das nicht: Am Samstag sollen 650 000 weitere Dosen Astrazeneca in Deutschland ankommen. SEBASTIAN HORSCH