„Wir sind müde, das Virus nicht“

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Berlin/München – Der Herr Minister wirkt souverän in seinem Auftritt. Nur der kleine Zettel in seinen Händen erzählt eine andere Geschichte. Ein Blatt, gefaltet, nochmal gefaltet, geknetet, glattgestrichen, gewendet – diesem Papier ist eine gewisse Anspannung seines Besitzers anzusehen. Kein Wunder: In einer sehr heiklen Phase der Pandemie, nach Ärger mit der Kanzlerin und unschönen dicken Schlagzeilen in den Zeitungen, muss Jens Spahn vor dem Bundestag zum Rapport antreten. 70 mäßig angenehme Minuten lang.

Als „Regierungsbefragung“ ist das ein formalisiertes Ritual im Parlament. Der Bundestag gibt ein hohes Tempo vor, Schlagabtausch im Rhythmus von 30 bis 60 Sekunden. Das soll vorgestanzte Erklärungen verhindern. Das Risiko für Spahn: Er kann sich von einer Minute auf die andere neu um Kopf und Kragen reden. Sein Glück an diesem Tag: Die Abgeordneten fragen wachsweich.

Ein paar schöne Sätze hat sich der Minister zurechtgelegt. „Wir wähnten uns auf einem guten Weg“, sagt er gewichtig, „aber dieses Virus gibt nicht auf. Wir sind müde, pandemiemüde. Das Virus nicht.“ Der 40-Jährige hält am Kurs der Vorsicht fest.

Spannender wäre, ihn nach seinem Konflikt mit Kanzlerin Angela Merkel zu fragen. Sie hatte kurzfristig seine Pläne gebremst, ab 1. März bundesweit kostenlose Schnelltests in Zentren, Praxen und Apotheken einzuführen. Jetzt soll erst die Bund-Länder-Runde am 3. März darüber reden, die Tests einbetten in ein Gesamtkonzept für Lockerungen. Vom „Schnelltest-Debakel“ schreibt die „Bild“, der „Pannen-Minister“ sei „düpiert“. Mit Detailfragen dazu verschont aber selbst die Opposition den Minister.

Wie sehr Spahn unter Druck steht, zeigt sich trotzdem, und zwar schon vor der Sitzung. Am Morgen versucht das Ministerium, die Debatte um Tests zu verlagern. In einer Hauruck-Aktion verkündet Spahn im Frühstücksfernsehen erstmals die Zulassung dreier Selbsttests für Laien. Das Tempo überrascht sogar den beteiligten Siemens-Konzern, ist zu hören.

Damit gibt es nun auf mittlere Sicht drei große Test-Optionen. Die offiziellen PCR-Tests (in Bayern kostenlos) gelten als sehr zuverlässig, die Auswertung der Rachenabstriche durch Labore dauert aber ein bis drei Tage. Mit ihnen berechnen sich die offiziellen Inzidenzen. Spahns Schnelltests sind bisher in vielen Städten gegen viel Geld bei geschultem Personal zu bekommen, dauern nur wenige Minuten. Um im Alltag, auch vor Reisen, seine Gesundheit nachzuweisen, sind solche frischen Schnelltests geeignet. Sie kostenlos anzubieten, Spahns von Merkel gebremste Ankündigung, steht noch aus. Und die neuen Selbsttests sind als dritte Säule zum Beispiel vor dem Familienbesuch sinnvoll, vielleicht auch unter Aufsicht für Schulen und Kitas oder vor dem Eingang ins Theater.

„Diese kleinen Dinger“, sagt Spahn im Bundestag und meint die Tests, könnte die Pharmabranche schnell millionenfach nachproduzieren. Nur den Fragen, wer das zahlen soll, weicht er aus. Genau das ist aber heikel. Die organisierten Schnelltests wollte Spahn zahlen, vielleicht mit einer Eigenbeteiligung von einem Euro. Die Selbsttests für Laien hingegen – zwischen zwei und zehn Euro pro Stück – sollen zumindest für Schulen und Kitas die Länder zahlen; die sind davon nicht begeistert.

Auch beim Impfen schiebt Spahn den schwarzen Peter an die Länder weiter. Er verlangt 300 000 Impfungen pro Tag: „Die Dosen sind da, nun gehe ich davon aus, dass wir in den Ländern an Geschwindigkeit zulegen.“ Für den Bund kündigt er einen digitalen Impfpass an, ergänzend zum gelben Büchlein.

Die Union spendet Spahn im Bundestag demonstrativ viel Applaus. Den größten Ärger erfährt er ironischerweise vom Koalitionspartner. SPD-Fraktionsmanager Carsten Schneider greift den Minister vor Journalisten an. „Zu viel Ankündigung, zu wenig Substanz“, nennt er die Schnelltest-Pläne. „Wenn ich was ankündige, muss ich vorher auch einen Plan haben, wie das funktionieren soll“, sagte Schneider. „Da fehlt mir die notwendige Ernsthaftigkeit.“

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