München – Es gibt Menschen, die Winfried Kretschmanns Defizite klar benennen. Der bekannteste ist Kretschmann selbst. Vor dem Politischen Aschermittwoch, als die Parteien krampfhaft versuchten, das krachige Format ins Digitale zu transportieren, strich Baden-Württembergs Ministerpräsident verbal die Segel. Was derbe Rhetorik angehe, müsse er gestehen: „Diese Disziplin gehörte noch nie zu meinen liebsten.“ Er beließ es bei einer Videobotschaft.
Die Reaktionen waren milde, nicht nur, weil der grüne Landesvater den dezenten Auftritt auch mit den Härten der Corona-Zeit begründete und sich aufgrund der Erkrankung seiner Frau ohnehin stark zurücknimmt. Seine Begründung war schlicht authentisch. Kretschmann (72), seit zehn Jahren Ministerpräsident, verschreckt niemanden mit radikalen Ideen und Auftritten, wie es sein Parteifreund, der Tübinger OB Boris Palmer, manchmal tut. Selbst CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, bei der Landtagswahl am 14. März seine Hauptgegnerin, sagt über den Regierungschef: „Ich mag ihn.“
Die Zeiten, als ein grüner Ministerpräsident bundesweit als Experiment beäugt wurde, sind lange vorbei. Wenn im Südwesten gewählt wird, ist eine Regierung ohne Grüne zwar theoretisch möglich. In der Praxis aber wird selbst potenziellen Nutznießern ein bisschen mulmig bei dem Gedanken.
Die hohen Beliebtheitswerte des Ministerpräsidenten könne man nicht einfach ignorieren, hat FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke im „Mannheimer Morgen“ eingeräumt und den Hinweis mit einer spöttischen Anspielung auf die überschaubare Popularität der CDU-Kandidatin versehen: „Wenn die überwiegende Mehrheit Kretschmann behalten will und es am Ende in Baden-Württemberg mehr Einhörner gibt als Leute, die Frau Eisenmann als Ministerpräsidentin haben wollen, kann das der FDP nicht gleichgültig sein.“ Er bezog sich auf eine Umfrage, die Kretschmann als Wunschkandidaten für 65 Prozent der Wahlberechtigten auswies. Eisenmann kam auf magere 16.
Deutlicher kann man sich den Grünen nicht als Partner anbieten. Eine Zusammenarbeit mit der Ökopartei sei möglich, betonte Landeschef Michael Theurer, trotz aller Differenzen: „Wir würden es wagen.“ Die jüngsten Umfragen sehen die Grünen bei 34 Prozent, sechs Punkte vor der CDU. Während AfD (11), SPD (10) und FDP (9) dicht beieinander liegen, würde es die Linke (3) nicht in den Stuttgarter Landtag schaffen.
Am liebsten wäre den Liberalen zwar ein schwarz-rot-gelbes Konstrukt („Deutschlandkoalition“). Es hat aber eine fundamentale Schwäche: Nicht alle Kandidaten wollen so ein Bündnis tatsächlich schmieden. Die Südwest-SPD signalisiert bereits, dass ihre Basis eine solche Koalition ablehnen würde. Wunschpartner sind Kretschmanns Grüne, mit denen man von 2011 bis 2016 eine Regierung bildete. Das würde aber wohl nur gehen, wenn auch die FDP dabei wäre.
Die stabilste Variante wäre eine Fortsetzung der grün-schwarzen Koalition. Allgemein ist die Zufriedenheit in der Bevölkerung recht hoch, aber in Pandemiezeiten muss das nichts heißen. Kretschmann weiß auch um diese Tücke Coronas: „So wenig habe ich noch nie auf Umfragen gegeben wie derzeit.“
Trotz überwiegender Zustimmung für die Maßnahmen gärt es auch im Südwesten. Das Reizthema Schulen entzweit selbst die Regierung. Während Kretschmann zur Vorsicht neigt, wollte Kultusministerin Eisenmann schon im Januar eine Öffnung forcieren. Erst als in einer Freiburger Kita die ersten Virusmutationen auftauchten, ruderte sie zurück.