München – Aus allen Richtungen kamen die Bitten, der Besitzer eines Schuhgeschäfts war dabei, ein Schulleiter, ein Hotelier. Es war eine bunte Mischung von Interessen, mit der der „BR“ am Mittwochabend Markus Söder konfrontierte. Der Versuch, ihm die eine oder andere Zusage zu Lockerungen abzuringen, war so offensichtlich wie nachvollziehbar, doch ebenso erwartungsgemäß blieb der Ministerpräsident standhaft. Auch wenn seine anfangs ironischen Kommentare über die Versprechen, die man sich von ihm erwarte, im Laufe des Abends ein bisschen genervt klangen. Am konkretesten war noch seine Zusage, öffentliche Plätze für Künstler freizugeben.
Viel mehr ist nicht drin für Bayerns Ministerpräsidenten. Er weiß in dieser Hinsicht die Kanzlerin hinter sich, doch die Widerstände gegen den Kurs der Vorsicht nehmen stetig zu. Das ZDF-„Politbarometer“ bestätigt diesen Trend. 56 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, die Corona-Maßnahmen zu lockern. Eine Mehrheit hält sie zwar weiter für richtig (55 Prozent), aber der Anteil derer, die sie als übertrieben empfinden, ist seit Ende Januar um neun Punkte auf 23 Prozent gestiegen.
Die wachsende Unruhe in der Bevölkerung ist einer der Vorboten des nächsten Gipfels. Nach einem langen, harten Winter sorgen frühlingshafte Temperaturen und allgemeine Erschöpfung dafür, dass die Erwartungen steigen. Wenn am Mittwoch die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin über den Kurs der nächsten Wochen beraten, wird die Ungeduld im Lande ein gewichtiger Faktor sein.
Das zeigt sich schon daran, dass immer neue Vorstöße formuliert werden, die teils deutlich abweichen von den Beschlüssen des letzten Gipfels, der damals ein breiter Konsens zu sein schien. Der Inzidenzwert von 35 ist nicht mehr der allgemein gültige Maßstab. In NRW hält es Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) für möglich, den Einzelhandel auch dann wieder zu öffnen, wenn die Zahlen knapp darüber liegen.
In Hessen taucht die Zahl schon gar nicht mehr im Öffnungsplan der Landesregierung auf. Volker Bouffier (CDU) stellte eine Ausweitung der Kontaktregeln in Aussicht (fünf Personen aus zwei Haushalten), die Nutzung von Sportanlagen und die Öffnung der Biergärten. Noch vor Ostern könnten Freiluft-Veranstaltungen bis 50 Personen möglich sein. Das steht zwar unter dem Vorbehalt einer stabilen Lage, aber keiner konkreten Inzidenz mehr. Mit einer Wutrede („Die Leute haben die Schnauze voll“) hatte Bouffier Mitte der Woche einen schrillen Akzent gesetzt. Vor dem nächsten Gipfeltreffen erwarte er jede Menge Wortmeldungen, „vom Kanzleramt bis nach Bayern und zurück“. Nun steckt er selbst mittendrin. Die hessische Kurswende ist spektakulär, schließlich lagen Bouffier und seine schwarz-grüne Koalition bisher auf Linie der Kanzlerin.
Die Fliehkräfte zwischen Bund und Ländern werden stärker. Selbst Winfried Kretschmann, einer der Vorsichtigen im Lande, hat sich mit der Idee von Lockerungen angefreundet. In einem Impulspapier für den Gipfel schlägt Baden-Württembergs Ministerpräsident vor, Geschäfte, Restaurants und Museen mit Hilfe von Schnelltests zügig wieder zu öffnen.
Die Kanzlerin reagierte umgehend. Trotz der Tests könne man weder auf Inzidenzen generell verzichten noch sofort öffnen. Auch Söder warnt, er sei „skeptisch, jetzt einfach alles den Ländern freizugeben“. Es dürfte ein langer Mittwoch werden.