„Öffnungsrausch“: Koalition driftet auseinander

von Redaktion

Söder mahnt zu Vorsicht, SPD und Teile der CDU wollen Lockerung – CSU: Freiheit für Getestete

München – Ehe Markus Söder vom Rausch redet, nippt er an seiner Cola light. Man dürfe nicht in einen „unkontrollierten Öffnungsrausch“ verfallen, sagt der Ministerpräsident. Er warnt vor einem „Blindflug in die dritte Welle“. Rausch und Flug – recht bildhaft, aber vage erklärt Söder seinen Kurs für das morgige Treffen der Ministerpräsidenten.

Die Grundlinie: Er will eine vorsichtige Öffnung mit Perspektiven, aber auch nicht mehr. Dafür sucht Bayern in den Stunden bis zur Video-Schalte Verbündete. Sachsen ist an Bord, das zeigt sich beim Auftritt mit Ministerpräsident Michael Kretschmer am Montag. „In einer Zeit großer Infektionen kann keine große Lockerung erfolgen“, sagt der CDU-Politiker.

Stand jetzt akzeptiert Söder spürbare Lockerungen in allen Gebieten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 35: mehr Präsenz in der Schule, Ladenöffnung teils mit Einzelterminen bis Ostern, Lockerung der Kontaktregeln auf zwei Haushalte. Das soll umkehrbar sein, sobald die Inzidenz einen noch festzulegenden Korridor nach oben durchbricht. Und es soll verdrahtet werden mit einem Konzept für Schnelltests.

Unter 35 dürften sich indes nur wenige Landkreise halten. Bedeutsamer ist das Impfkonzept, an dem Söder und mehrere Kollegen rütteln. Erneut fordert der CSU-Chef eine Freigabe von Astrazeneca „so schnell wie möglich für alle, nicht erst in vier bis sechs Wochen“. Das hieße, die Priorisierung nach Alter und Vorerkrankung zu einer Empfehlung herabzustufen. Deutschland habe einen „dramatischen Rückstand“ beim Impfen. Spätestens im April müssten Haus-, Betriebs- und Schulärzte einsteigen und mitimpfen.

Gleichzeitig versprechen er und Kretschmer Tschechien 15 000 Impfdosen in der Hoffnung, sie würden bevorzugt Grenzpendlern gespritzt. Die Angst vor den extremen Inzidenzen im Nachbarland – bis zu 1800 – ist hoch. Bei einer Grenzkontrolle seien bei 40 Einreisenden 16 Infektionen festgestellt worden, erzählt der Sachse. Und selbst die Corona-Test-Nachweise bei der Einreise sind umstritten, weil das Gerücht die Runde macht, negative Zertifikate seien in Tschechien käuflich.

Söders Mahnen erntet in Berlin bereits lauten Widerspruch. Es droht eine lange, konfrontative Sitzung am Mittwoch. Mehrere hochrangige SPD-Politiker, darunter Vizekanzler Olaf Scholz, fordern „eine Öffnungsperspektive, konkret formuliert“, ohne selbst genauer zu werden. Das hat dennoch Gewicht, weil die SPD mehrere Ministerpräsidenten stellt.

Selbst in der CDU gibt es Lockerungsrufe. Wirtschaftsminister Peter Altmaier verfasste ein stark von Verbänden beeinflusstes Öffnungspapier, das die Grenze von 35 bundesweit und regional infrage stellt. Sogar oberhalb von 50 seien Öffnungen vertretbar. Noch im März könne in Außenbereichen gelockert werden. Und die CSU-Landesgruppe unter Alexander Dobrindt legt ein Strategiepapier vor, das viel mehr und schneller Freiheiten für Geimpfte und frisch Getestete fordert. „Ein Kernelement dafür ist ein digitaler Test- und Impfpass für das Smartphone, der zur Verfügung stehen muss.“ Man könne keinesfalls warten, bis alle geimpft seien. Es brauche Perspektiven für Handel, Kultur und Sport.

Die Grünen modifizieren ihre Corona-Strategie etwas. Sie mahnen weiterhin Vorsicht an, wollen aber eine wichtigere Rolle für Schnelltests. Parteichef Robert Habeck verlangt, dass jeder Bürger sich „mindestens zwei Mal in der Woche“ testen können soll, ähnlich wie vom Bund nun geplant. Der Staat soll zudem nicht mehr jede zweite Dosis für die Folgeimpfung zurückhalten.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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