Mehr als eine Frage der Ehre

von Redaktion

2013 gab sich die CSU einen Verhaltenskodex: Im Fall Nüßlein nutzlos – Sein Mandat wird er wohl dennoch verlieren

München/Günzburg – In der CSU gibt es ein Papier, das die Ohren des Abgeordneten Georg Nüßlein klingeln lassen sollte. Ein „Verhaltenskodex“ regelt auf sechs Seiten, was Verantwortungsträger der Partei tun und lassen sollten. „Interessenkonflikte (…) müssen vermieden werden“, heißt es da. „Unsere Mandatsträger sollen nicht auf ihr Amt hinweisen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.“

Der Kodex, entwickelt vom Ehrenvorsitzenden Theo Waigel, stammt aus 2013, jenem Jahr, in dem die Partei durch die Gier etlicher Abgeordneter schwer in der Verwandtenaffäre gebeutelt wurde. Geholfen hat das sechsseitige Papier indes wohl kaum. Der Fall Nüßlein zeigt, dass auch ein Fraktionsvize im Bundestag den Geist nicht verinnerlicht hat.

Nüßlein steht im Verdacht, 660 000 Euro als Provision für die Vermittlung eines teuren Masken-Handels mit dem Staat eingeschoben zu haben, unversteuert noch dazu. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in großem Umfang. Der Skandal zieht immer größere Kreise. Laut verschiedenen Medien war Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) persönlich über den MaskenHandel – nicht die Provision – informiert. Den Vertrag für die Geschäfte mit dem bayerischen Gesundheitsministerium setzte zudem ein anderer Politiker auf: Alfred Sauter, Ex-Justizminister in Bayern, Mitglied der engsten CSU-Führung und Abgeordneter des Landtags, unterhält eine florierende Anwaltskanzlei. Sie tritt immer wieder diskret in Erscheinung, wenn es um größere Geschäfte mit dem Freistaat geht. Diesmal habe er „eher zufällig“ von dem anstehenden Geschäft erfahren und den Vertrag dann aufgesetzt, sagt Sauter. Er ist der CSU-Kreisvorsitzende in Nüßleins Heimat.

Über Sauter gibt es Stirnrunzeln in der CSU, unter den Waigel-Kodex fällt das formal aber nicht, weil der 70-Jährige unter dem Briefkopf seiner Kanzlei firmierte. Nüßlein trat explizit als Fraktionsvize der Union auf. Auffällig ist schon, dass wie schon in der Verwandtenaffäre die CSU in Schwaben ein Epizentrum der Vorgänge ist.

In der CSU-Spitze ist das Entsetzen groß. „An der Not verdient man nicht“, sagt ein Vorstand. Halblaut heißt es, Nüßlein werde den Fall politisch nicht überleben. Man verlange diese Woche eine Erklärung von ihm. Am besten, sich aus dem Bundestag zurückzuziehen: „Sein letzter Dienst an der Partei.“ Glück im Unglück für die CSU: Nüßleins Wahlkreis Neu-Ulm ist noch nicht vergeben. Er wollte wieder antreten, für Ende April war die entscheidende Sitzung laut Parteikreisen avisiert. Nun gibt es die Chance für die Partei, mit einem unbelasteten Kandidaten zur Bundestagswahl im September anzutreten. Selbst in Schwaben hatte die CSU schon erlebt, dass nicht jeder ihrer Bewerber automatisch gewählt wird.

Der Ehrenkodex der CSU ist dabei übrigens keine Hilfe – er schlägt keine Sanktionen vor. Es werde für heikle Fragen einen „Beratenden Ausschuss“ geben, wurde damals beschlossen. In Erscheinung trat die Runde in den Folgejahren nie. Auch jetzt nicht. „Die staatsanwaltlichen Ermittlungen gehen vor“, sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume. Parteifragen sollen später geklärt werden.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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