München – Am 14. März wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Gute Chancen auf eine dritte Amtszeit hat der bundesweit einzige Ministerpräsident von den Grünen: Winfried Kretschmann. Der ist inzwischen 72 und von der reinen grünen Lehre so weit weg wie ein echter Schwabe von korrektem Hochdeutsch. Eingängiges Beispiel: Vergangenen Sommer warb er für eine Auto-Kaufprämie, um die Corona-gebeutelte Branche aufzupeppen. Dabei ging es wohlgemerkt um Verbrenner, eine Sorte Automobil, die in engagierten Grünen eigentlich Wut aufsteigen lässt.
Kretschmann mag ein besonders markanter Fall sein – aber wenn es ums Regieren geht, herrscht bei den Grünen längst Pragmatismus. Wie flexibel die Partei ist, zeigt ein Blick auf die elf Landesregierungen mit grüner Beteiligung. Fast alle Bündnisse sind dabei – mit CDU, SPD, FDP, Linken. Für Ulrich Schulte, „taz“-Journalist und dort für die Grünen zuständig, ist das kein Zufall. In seinem gerade erschienenen Buch „Die grüne Macht“ beschreibt Schulte, wie die aktuellen Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck die Partei seit gut drei Jahren betont staatstragend in die politische Mitte führen wollen.
Baerbock und Habeck sei „die linke Ecke zu eng“, schreibt Schulte. „Sie möchten nicht nur die SPD als führende Kraft der linken Mitte beerben, sondern auch die Union attackieren“. Sein Buch ist eine interessante Bestandsaufnahme der Grünen: Traumatisiert durch den „Veggie-Day“ und den Vorwurf Verbotspartei. Personell nicht so divers wie selbst erwünscht. Getrieben durch radikalere Klimaschutz-Bewegungen wie „Fridays for Future“.
Die Analyse von Baerbocks und Habecks Öffentlichkeitsarbeit hat es ebenfalls in sich. Schulte beschreibt zwei Vorsitzende, die jedes Wort sehr genau abwägen, denen Kontrolle im Zweifel wichtiger ist als Authentizität. „Die Folge ist, dass sich führende Grüne manchmal wortgleich äußern.“ Eine ähnlich ausgeklügelte Medienstrategie hat Markus Söder, der auch fast jedes Wort bewusst platziert. Zuletzt stieß Söder im „Spiegel“ die schwarz-grüne Tür weit auf, schwärmte vom „aktuell interessantesten politischen Angebot“. Dass er dabei an wenig Radikalität und viel Pragmatismus denkt, machte der CSU-Chef beim Aschermittwoch deutlich: „Wenn sie in einer Regierung sind, dann sind sie genau wie alle anderen – fällen Bäume, teeren Straßen, fahren Autos.“
Tatsächlich bliebe abzuwarten, wie entschieden die Partei in einer Bundesregierung ihre Umwelt- und Klimapolitik umsetzen könnte. Das wiederum führt zur großen Schwachstelle in Schultes Buch. Was denken Parteilinke und echte Ökos wirklich über Habecks und Baerbocks Kurs? Ginge die eigene Basis ein kompromissreiches Bündnis mit der Union klaglos mit? Solche Fragen bleiben weitgehend offen.
Wie viele Politikjournalisten, die auf eine Partei spezialisiert sind, balanciert Schulte zwischen nah dran und zu nah dran. Besonders über Baerbock verliert er quasi kein kritisches Wort – und spielt im etwas gewollten Finale des Buchs gar ihre ersten Monate als Kanzlerin einer grün-geführten Bundesregierung durch. Am Ende bleibt dennoch: Wer selbst einschätzen will, ob die Grünen auf dem Weg zur dauerhaften Nummer zwei im Parteiensystem sind, sollte dieses Buch gelesen haben. MAXIMILIAN HEIM