Putins Außenpolitik mit dem Impfstoff

von Redaktion

VON MARKUS MÄCKLER UND STEFAN REICH

München – Seit der Ankündigung, Russland werde einen eigenen Impfstoff produzieren, sorgt Sputnik V für Unruhe in der Europäischen Union. Dass ein weiteres Mittel im Kampf gegen die Corona-Pandemie zur Verfügung steht, könnte eigentlich eine gute Nachricht sein – wäre da nicht die Sorge, Russland würde seinen Impfstoff für machtpoltische Zwecke instrumentalisieren. Ist die Sorge berechtigt, Sputnik V könne zum Spaltpilz für die EU werden?

Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin war es ein Geschenk, früher als der Rest der Welt einen Impfstoff präsentieren zu können. Die Zulassung wurde bereits im August 2020 verkündet, ohne die vorher übliche dritte Testphase abzuwarten. „Der Grund war wohl, die Welt ein Stück weit zu überraschen. Es war auch innenpolitisch hilfreich, zu zeigen, dass man nicht auf das Ausland angewiesen ist“, sagt Janis Kluge, Russland-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Die Impfkampagne in Russland startete Anfang Dezember. Zu Weihnachten trafen hunderttausende Dosen Sputnik V in Argentinien ein. Mit mittlerweile über 40 Ländern gibt es Liefervereinbarungen, in einigen dieser Staaten erfolgte bereits eine Zulassung, bevor Anfang Februar im Fachmagazin „The Lancet“ erste Daten aus Phase-III-Studien veröffentlicht wurden. Und für viele Staaten der Welt sind China und Russland nach wie vor die einzigen Bezugsquellen, von denen sie relevante Impfstoff-Mengen erhalten können. „Geopolitisch kann es Bedeutung haben, wenn Russland sich hier als Partner für kleinere Länder zeigen kann“, sagt Kluge.

In Europa und Deutschland wehrt man sich nicht prinzipiell gegen den Einsatz von Sputnik V. Seit vergangenem Donnerstag sichtet die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Forschungsdaten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass der Impfstoff wirkt. Aus europäischer Sicht problematisch ist das Ausscheren von EU-Mitgliedern aus der gemeinsamen Impfstrategie. Ungarn erteilte eine Notfallzulassung, ebenso die Slowakei. Die erhaltenen Liefermengen sind aber gering. Das unterlaufe dennoch die europäische Impfsolidarität, kritisiert etwa Frankreich.

„Russland versteht es geschickt, Widersprüche in der EU und einzelnen Staaten zu nutzen“, sagt Kluge, „auch wenn Russland nicht ursächlich für die Widersprüche ist.“ So versucht der Kreml, die Beziehung zu wohlgesonnenen Parteien in Deutschland für sich zu nutzen. Neben der Linken ist das inzwischen vor allem die AfD.

Eine Delegation um Co-Fraktionschefin Alice Weidel ist derzeit in Moskau. Erst im Dezember hatte Außenminister Sergej Lawrow sich persönlich Zeit für AfD-Chef Tino Chrupalla genommen. Diesmal interessieren sich Weidel und Co. auch für den russischen Impfstoff Sputnik V. Er sei ein „Exportschlager“, sagte der bayerische Abgeordnete Petr Bystron unserer Zeitung. Man wolle heute von Entwicklern des staatlichen Gamaleja-Instituts mehr über das Mittel und die russische Impfstrategie erfahren, „die im Gegensatz zur EU sehr erfolgreich ist“.

Vier Prozent der Russen haben eine erste Impfdosis erhalten. Putin kann es sich dennoch erlauben, die Welt zu versorgen. „In Russland ist die Nachfrage gering“, sagt Kluge. Es gebe ein Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem, zum anderen sei das Ausmaß der Pandemie stets als gering dargestellt worden. Auch wenn die offizielle Statistik eine sehr große Übersterblichkeit in den vergangenen Monaten zeige, gebe es kaum verlässliche Zahlen zur Ausbreitung des Virus.

Im Gesamtkontext der Beziehungen zwischen Russland und EU wird das Thema Impfstoff keine große Rolle spielen, glaubt Hardy Ostry vom Brüsseler Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dass Russland jetzt ein vermeintliches Vakuum fülle, könne Europaskeptikern in die Hände spielen. Aber das Thema werde sich bald erledigen, wenn es in Europa ausreichend Impfstoff gebe.

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