Istanbul – Die prokurdische Oppositionspartei HDP in der Türkei wehrt sich gegen ein drohendes Verbot und wirft der Regierung die Abschaffung der Demokratie vor. Präsident Recep Tayyip Erdogan betreibe seit Jahren eine „Gewalt- und Unterdrückungspolitik“ gegen die zweitgrößte Oppositionspartei, sagte Co-Chefin Pervin Buldan in Ankara. Ihr Co-Vorsitzender Mithat Sancar erklärte, das Ziel sei die Abschaffung der Hoffnung auf Demokratie.
Die türkische Führung übt immer wieder Druck auf die HDP aus. Am Mittwoch folgte der härteste Schlag seit Langem: HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioglu verlor sein Abgeordneten-Mandat wegen eines rechtskräftigen Urteils. Kurz darauf beantragte der von Erdogan eingesetzte Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs beim Verfassungsgericht das Verbot. Erdogan wirft der HDP vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein, was die HDP bestreitet. Der Generalstaatsanwalt verlangte zudem ein fünfjähriges Politikverbot für gut 680 HDP-Politiker, unter anderem für die Parteichefs.
Die aktuellen Entwicklungen werfen auch einen Schatten auf Erdogans angekündigte Reformpolitik. Der 67-Jährige strebt eine Annäherung an den Westen an, die mit der wirtschaftlichen Situation der Türkei und dem Regierungswechsel in den USA zusammenhängen dürfte. Washington und Brüssel kritisierten die neuesten Entwicklungen. Auch die Bundesregierung äußerte sich besorgt. „Der Fall der HDP wirft erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit auf“, teilte das Auswärtige Amt mit. Man werde das weitere Verfahren genau beobachten. Ankara verbat sich jede Einmischung.
Das angestrebte HDP-Verbot wird auch als Zugeständnis an die ultranationalistische MHP gewertet, mit der Erdogans AKP zusammenarbeitet. MHP-Chef Devlet Bahceli forderte wiederholt die Schließung der HDP. Erdogan ist daran gelegen, den Partner nicht zu vergraulen. Ohne die MHP hat er keine Mehrheit im Parlament.
Die Regierung verfolge eine „Zermürbungsoperation“ gegen seine Partei, sagte Gergerlioglu. Der Politiker harrt seit Mittwoch im Parlament aus. Verlassen will er es erst, wenn das Verfassungsgericht über eine Klage gegen seine Verurteilung entschieden hat. Von Deutschland erwartet der Politiker Unterstützung: „Wir warten darauf!“
Der Versuch, die HDP ins Abseits zu schieben, dürfte von Erdogan berechnet sein. Schon in der Vergangenheit war die Partei das Zünglein an der Waage. 2015 schaffte sie erstmals den Einzug ins Parlament, die AKP kostete das damals die absolute Mehrheit.
Trotz eines drohenden Verbots gibt sich die HDP aber weiter kämpferisch. Kürzlich sagte Parteichef Mithat Sancar, man habe im Fall eines Verbots „nicht nur einen Plan B oder C, sondern auch einen Plan D“. MIRJAM SCHMITT