München – Am Ende fehlt nicht viel zu einer kleinen Revolution. Nur mit Mühe, mit vielen guten und manchen bösen Worten haben Vertraute von Markus Söder am Wochenende verhindert, dass der größte CSU-Verband per Beschluss mit der Corona-Politik des Ministerpräsidenten bricht. In einer phasenweise heftigen Videoschalte der CSU Oberbayern haben vor allem Kommunalpolitiker ihrem Druck Luft gemacht, berichten Teilnehmer.
„Die Stimmung ist beschissen“, wird der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß zitiert. Die Politik unterschätze die Folgeschäden der bisherigen Linie und überbetone die Inzidenzen. Ein Lockdown sei nicht mehr vermittelbar, berichteten auch mehrere Politiker aus Rosenheim, wo die Zahlen derzeit besonders hoch sind.
Solche Wallungen in Oberbayern gegen Söders Kurs sind sehr ungewöhnlich, der Verband stand ihm stets sehr nahe, stützte ihn auf dem Weg nach oben. Er selbst war nicht zugeschaltet, warnt aber seit Tagen, die Politik dürfe nicht die Nerven verlieren und zu sehr auf laute Kritiker hören. Sein Staatskanzleichef Florian Herrmann aus Freising musste den Kurs verteidigen. Er warnte vor einem exponentiellen Hochschießen der Infektionen und einer steigenden Dauer der Klinikaufenthalte, bat um Disziplin und Geduld. Die Inzidenz müsse im Zentrum stehen. Man könne sich nicht beliebig andere Werte aussuchen, die als Grund herhalten könnten, warum man keine Maßnahmen ergreifen wolle. Auf wenig Freude gerade der Landräte stieß sein Vorwurf, ihre Argumente seien „naiv“.
Die Stimmung schaukelte sich so hoch, dass der Ruf laut wurde, ein Gegenkonzept des Traunsteiner Landrats Siegfried Walch zu beschließen. Er hatte vergangene Woche den Plan präsentiert, Öffnungen nicht mehr an Inzidenzen, sondern an den Impffortschritt zu knüpfen. Sobald 70 Prozent von Priorisierungsgruppe 1 vollständig geimpft sind, sollen Schulen, Einzelhandel und Außenterrassen öffnen, teils mit Selbsttests. Sind 70 Prozent von Prio-Gruppe 2 geimpft, sollen Lokale innen, Kultur und Hotels öffnen. So geht das über fünf Stufen weiter.
Intern ist das Konzept umstritten. Die Junge Union Oberbayern stellte sich per Beschluss dahinter, ebenso einige Landräte. Andere im Vorstand zweifeln am Zusammenhang, warum Schulen als potenziell schwere Infektionsherde öffnen sollen, wenn 85-Jährige geimpft sind; nicht aber die Lehrer.
Unter anderem Alexander Dobrindt, Chef der Bundestagsabgeordneten, bremste in der Runde. „Ihr müsst die Realität ganz betrachten, auch wenn sie unbequem ist“, wurde er vernommen. Das Infektionsgeschehen werde stark über die Schulen getrieben, dafür brauche man Luftfilter-, Test- und Impfkonzepte.
Das Konzept sei vor allem als Ventil gedacht, heißt es in der Runde. Es wurde schließlich nur in die Form eines Prüfauftrags gegossen, für Söder gesichtswahrend. Die Botschaft sei „klar“, sagte Bezirkschefin Ilse Aigner. Sie kündigte an, das Gespräch mit Söder zu suchen. Der nannte eine Abkehr von Inzidenzen am Sonntag „falsch“. Man werde sie aber beizeiten ergänzen, etwa mit Impfquoten. C. DEUTSCHLÄNDER