Der Gegensatz ist aufschlussreich: Während Spitzenpolitiker hierzulande aufgeregt davor warnen, die Corona-Politik zum Wahlkampfthema zu machen, ist es in Israel gerade andersherum. Kein Wunder: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sein Land zum Impf-Weltmeister gemacht. Der Preis (Impf-Daten gegen Impf-Dosen, Übernahme der Produkthaftung) war hoch und risikoreich. Jetzt dürfte sich das politisch für ihn auszahlen. Netanjahu ließ jedenfalls keine Gelegenheit aus, die Menschen vor der heutigen Parlamentswahl daran zu erinnern, wem sie ihre neuen Freiheiten zu verdanken haben.
Für den viel kritisierten und oft totgesagten Regierungschef ist die Krise eine Art Aufbauprogramm, ähnlich wie die historische Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarn. Ohne die Erfolge stünde er bei der vierten Parlamentswahl in nur zwei Jahren wohl recht gerupft da, zumal seine teils erratische Lockdown-Politik auch Angriffsfläche bot. Nicht zu Unrecht werfen ihm seine Gegner zudem vor, das Amt auch als Schutzschild gegen eine Verurteilung zu nutzen, die ihm wegen laufender Korruptionsklagen droht. Entsprechend hartnäckig dürfte Netanjahu alles daransetzen, bei den erwartbar schwierigen Koalitionsverhandlungen als Ministerpräsident vom Feld zu gehen. Manche stimmen jetzt schon wieder die Abgesänge auf ihn an. Aber Netanjahu ist Machtmensch genug, um sich davon nicht beeindrucken zu lassen.
Marcus.Maeckler@ovb.net