München – Um kurz nach 18.30 Uhr gelangt die Bund-Länder-Konferenz an einen Punkt, an dem sie im Oktober schon einmal stand. „Dann sitzen wir in zwei Wochen eben wieder hier. Es reicht einfach nicht, was wir hier machen“, hatte die Kanzlerin den Ministerpräsidenten damals gesagt, als die zweite Welle gerade im Anmarsch war. Tatsächlich saß man kurz darauf wieder beisammen – und entschied sich für deutlich härtere Lockdown-Maßnahmen. Merkel hatte Recht behalten.
Gestern Abend, die dritte Welle rollt bereits, spielen sich in der Konferenz offenbar ähnliche Szenen ab. Aber jetzt scheint die Kanzlerin endgültig an ihre Grenzen zu stoßen. Die Runde, die wegen der Debatten im Vorfeld bereits mit mehr als einer Stunde Verspätung begonnen hatte, wird unterbrochen. Die bisher getroffenen Maßnahmen seien nicht ausreichend, um die Infektionsdynamik zu brechen, sagt Merkel laut Teilnehmern. So könne man in der Öffentlichkeit nicht bestehen. Die Kanzlerin, die sich als Naturwissenschaftlerin tief in die alarmierenden Studien von Mutation und dritter Welle eingelesen hat, will nachschärfen. Mehr als fünf Stunden lang versucht man, im kleineren Kreis einen Kompromiss zu finden. Dann besprechen sich die Ministerpräsidenten nach Parteien getrennt. Auch um Mitternacht dauert dies noch an.
Konkret eskaliert die Debatte beim Thema Urlaub. Mehrfach gibt es Kritik an der Entscheidung des Auswärtigen Amtes, Mallorca zum sicheren Reisegebiet zu erklären. Die Ministerpräsidenten aus dem Norden wollen nun ebenfalls kontaktarme Angebote erlauben, beispielsweise in Ferienwohnungen. Warum sollen wir geschlossen bleiben, wenn die Flieger zum Ballermann abheben?, fragen auch die Hoteliers in Bayern. Doch die Kanzlerin will hart bleiben. Deshalb die Unterbrechung. „Wir beschließen heute, dass wir das einhalten, was wir letztes Mal beschlossen haben. Und das in einer Zeit exponentiellen Wachstums. Das ist zu wenig“, sagt die Kanzlerin.
Dabei ist bis zu diesem Zeitpunkt der Sitzung schon einiges verschärft worden. Der Lockdown wird bis weit in den April verlängert, die Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen bleibt die Stufe für eine Notbremse, die hart angewendet werden soll. Dann muss der Einzelhandel schließen, in vielen Kreisen Oberbayerns ist dies nun der Fall. Bundesweit lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Montag bei 107,3, in Bayern bei 110,7.
Auch die die Regelung zu Ostern ist strikt: Über die Feiertage dürfen sich nur Mitglieder eines Haushaltes und eine weitere Person treffen (ausgenommen sind Kinder unter 14 Jahren). Dabei hatte der Entwurf des Kanzleramts noch eine deutlich kulantere Regel vorgesehen. Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen sollten erlaubt werden. „Das besonnene Verhalten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland während der Weihnachtstage hat eindrucksvoll gezeigt, wie Familienzusammenkünfte sicher gestaltet werden können“, hieß es da. Doch letztlich entschied sich die Runde für die harte Linie – auch wenn beispielsweise die Großeltern bereits geimpft sind. Auch Geimpfte seien vielleicht ansteckend, lautet die Begründung.
Viele sind es ohnehin nicht. Am Morgen hatte Jens Spahn noch einmal versucht, die Laune beim Thema zu heben – mit durchwachsenem Erfolg. Neun Prozent der Deutschen seien mindestens einmal geimpft worden – mehr als 7,5 Millionen Bürger, twitterte der Gesundheitsminister stolz. 3,3 Millionen hätten durch die zweite Impfung den vollen Schutz. Doch Beifall bekam Spahn dafür nicht. Ein „Armutszeugnis“ sei das, antworteten dutzende User dem Minister. Die meisten Ministerpräsidenten sehen das ähnlich – gäbe es mehr Impfstoff, könnten ihre regelmäßigen Runden deutlich positiver verlaufen.