Washington – Wenn morgen US-Präsident Joe Biden am 64. Tag seiner Amtszeit seine erste Pressekonferenz im Weißen Haus abhält, so ist er damit spät dran. Noch nie hat ein neugewählter Präsident damit in den letzten 100 Jahren so lange gewartet. Bidens früherer Chef Barack Obama wagte sich schon nach 20 Tagen vor das Pressekorps, und Donald Trump stellte sich nach 27 Tagen. Warum Biden so lange wartete, scheint klar: Auch während des Wahlkampfs, bei dem der spätere Sieger Presse-Auftritte tunlichst vermied und sich meist vom Keller seiner Villa aus meldete, galt die Devise: Bloß nichts falsch machen. Die Furcht vor peinlichen Versprechern – erst kürzlich bezeichnete Biden seine Stellvertreterin Kamala Harris erneut als „Präsidentin“ – scheint also den Regierungsauftakt weiter zu begleiten.
Doch von seiner Startbilanz her hat der Demokrat keinen Grund, sich zu verstecken. Letzte Woche konnte Biden feiern, dass 120 Millionen US-Bürger mindestens eine Covid-19-Impfung erhalten hatten – und er damit seinen Zeitplan eingehalten hat. Gleichzeitig gab es für Millionen Menschen im Land eine dritte Stimulus-Zahlung von 1400 US-Dollar.
Die einzige wirklich offene Flanke Bidens scheint derzeit das Einwanderungs-Thema zu sein. Die Behörden zeigen sich angesichts des enormen Anstiegs der Migranten-Zahlen an der Grenze zu Mexiko, begünstigt durch Exekutiv-Anordnungen Bidens, derzeit überfordert. Aufnahmen aus einem Lager, die ausgerechnet ein demokratischer Abgeordneter aus Texas veröffentlichte, zeigen Kinder und Jugendliche zusammengepfercht und auf dem Boden schlafend – Fotos, die nach Aussage des Biden-Parteifreundes „schreckliche Bedingungen“ für die Minderjährigen belegen.
Während sich Biden hier mittlerweile auch von liberalen Medien mangelnde Transparenz vorwerfen lassen muss, weil Journalisten bisher von der Berichterstattung aus den Migranten-Lagern ausgesperrt wurden, zeigt sich die neue Regierung insgesamt wesentlich pressefreundlicher als unter Trump. Bidens Sprecherin Jen Psaki hält fast täglich Briefings ab. Zwar ließ sie anfänglich nur Fragen zu, die zuvor mit ihr abgestimmt worden waren, doch diese restriktive Praxis wurde mittlerweile zu den Akten gelegt.
Die Angriffspunkte für die Opposition sind also, abgesehen von der Einwanderungskrise, kaum vorhanden – zumal auch die Börsenkurse, anders als von Trump prophezeit, nicht in den Keller gefallen sind. Gleichzeitig hat Biden deutlich gemacht, dass er gewillt ist, gegenüber den geopolitischen Gegnern China und Russland mit harten Bandagen zu agieren.
Ein Teil von Amerikas Konservativen stürzte sich deshalb vor allem auf eine optische Blöße, die sich Biden kürzlich gab. Gleich dreimal war der 78-Jährige auf der Treppe zum Kabineneingang der „Air Force One“ gestolpert. Und schnell war wieder die Frage formuliert: Ist Biden, der kürzlich auch den Namen seines Verteidigungsministers Lloyd Austin vergaß, zu senil, um Präsident sein zu können?
Das Biden-Presseteam gab dem kräftigen Wind die Schuld an den Fehltritten, was Spott und Häme noch verstärkte. Doch zählen solche Vorgänge wirklich beim Wähler? Die Zustimmungsquote Bidens liegt nach den ersten zwei Monaten bei 56 Prozent. Das ist ein guter Wert, den Trump nie erreichen konnte. Hinzu kommen Wirtschaftsprognosen, die für kommendes Jahr – in dem Kongress-Zwischenwahlen stattfinden – sogar ein Absinken der Arbeitslosenrate unter vier Prozent vorhersagen.