Berlin/München – Es klingt so, als würde CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble die Union vorsichtig auf einen bitteren September vorbereiten. Man spiele auf Sieg, nicht auf Platz, sagt der Bundestagspräsident zwar dem „Spiegel“ in einem bemerkenswerten Interview. Aber: Es sei auch „1969, als Kiesinger für Brandt gehen musste, die Welt nicht untergegangen und 1998, als Kohl Schröder unterlag, auch nicht“.
Kein Weltuntergang also, wenn die CDU in der Opposition landet. Schäuble selbst benennt als einen möglichen Faktor dafür die schwierige Machtübergabe von Angela Merkel an Wen-auch-immer. „Zum ersten Mal überhaupt kandidiert ein amtierender Kanzler nicht mehr für das Amt.“ Das stelle die Union auch vor Probleme. „Die Kanzlerin will und kann dem Kandidaten bis zum Wahltag nicht viel Raum geben. Was kein Vorwurf ist. Es ist deswegen auch richtig, den Kandidaten so spät wie möglich zu küren. Denn streitet der Kandidat mit Merkel: schlecht. Setzt er sich nicht ab von ihr: auch schlecht. Das nennt man ein Dilemma.“
Schäuble selbst kandidiert ja wieder, aber er kennt auch die Umfragen, die von Tag zu Tag für die Union dunkler werden. Im ZDF-„Politbarometer“ vom Freitag war die Union um sieben Punkte auf 28 Prozent abgerutscht. Im „Sonntagstrend“ von Kantar für „Bild“ sind es sogar nur noch 25 Prozent. Immer näher kommen die Grünen hier, jetzt mit 23 Prozent. SPD (17), FDP (10), AfD (10) und Linke (9) folgen. In Formeln der Machtmathematik: Eine grün geführte Ampel gegen die Union wäre ebenso möglich wie Grün-Rot-Rot. Schwarz-Grün käme fast auf Augenhöhe nur noch auf eine knappe Mandatsmehrheit.
Die Debatten in der Union werden spürbar hektischer. Anders als Schäuble raten mehrere führende CDU-Leute zu einer schnellen Klärung der Kanzlerkandidatur. Thomas Strobl zum Beispiel, der Vizevorsitzende der Union rät zu einem eiligen Beschluss nach Ostern. Er legt sich überraschend auf CDU-Chef Armin Laschet fest und sagt, er spreche da für „die CDU in Deutschland“. Und: „Aus vielen Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass dies in der CDU Baden-Württemberg und in allen anderen CDU-Landesverbände genauso gesehen wird.“ Über CSU-Chef Markus Söder sagt Strobl kühl: „Die Union will nicht jetzt Umfragen gewinnen, sondern im Herbst die Bundestagswahl – dafür ist Armin Laschet als Mann der Mitte mit dem Blick nach vorne genau der Richtige.“ Die Südwest-CDU hatte zunächst – vergeblich – Friedrich Merz unterstützt.
Der Chef der Mittelstandsunion, Carsten Linnemann, forderte Laschet auf, mit „Zukunftsthemen“ in die Offensive zu gehen. Dann habe er „die besten Chancen, Kanzlerkandidat zu werden“. Gleichwohl sei das Rennen offen. Söder selbst nannte die Lage sehr ernst. „Die Corona-Zahlen steigen und die Unionswerte fallen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Es kommt Wechselstimmung im Land auf.“ Es gebe kein Abo der Union mehr auf die Kanzlerschaft. cd