Stuttgart – Nach hartem Ringen über elf Stunden hinweg haben Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Grünen-Spitze ihre Beratungen über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beendet. Es gebe eine Einigung, was man dem Landesvorstand empfehlen werde, hieß es am späten Mittwochabend nach dem Treffen aus Grünen-Kreisen. Ob die CDU oder SPD und Grüne die besseren Karten für ein Bündnis haben, wurde zunächst nicht bekannt. Es hieß bei den Grünen, man habe Stillschweigen vereinbart, um als erstes am frühen Donnerstagmorgen den Landesvorstand zu informieren. Das Gremium hat offiziell das letzte Wort.
Ursprünglich wollte die Grünen-Führung schon am frühen Mittwochabend den Landesvorstand wissen lassen, ob sie bei einer Koalition mit der Union bleiben oder zu einem Ampelbündnis mit SPD und FDP wechseln will. Doch die Beratungen, die um elf Uhr begonnen hatten, dauerten dann bis 22.00 Uhr.
Es ist bekannt, dass Kretschmann Stabilität und Verlässlichkeit besonders in der Corona-Krise wichtig ist, was eher für die CDU sprechen würde. Die Grünen-Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand sollen eher für einen Wechsel zu einem Dreierbündnis mit SPD und FDP geworben haben. Zuletzt hatte es im Umfeld von Fraktionschef Andreas Schwarz geheißen, es stehe 50:50. Sollten sich die Grünen für SPD und FDP entscheiden, wäre es die erste grün-geführte Ampelkoalition bundesweit. Es wäre zudem ein Signal für den Bund, wo es nach Umfragen derzeit ebenfalls für ein Bündnis unter Führung der Ökopartei reichen würde.
Am Donnerstagmittag wollen sich die Grünen nach dem Votum des Vorstands mit ihren potenziellen Koalitionspartnern treffen und ein gemeinsames Abschlusspapier zu den Sondierungsgesprächen abfassen, das dann als Grundlage für die Koalitionsverhandlungen gelten soll. Danach will man sich der Öffentlichkeit präsentieren. Sowohl mit CDU als auch mit SPD und FDP ist angeblich vereinbart, dass sie sich bereit halten sollen.
Die CDU hatte den eher vorsichtigen Corona-Kurs der Grünen zuletzt weitgehend mitgetragen, auch wenn Kultusministerin und CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann beim Thema Schulöffnungen deutlich offensiver war als Kretschmann. Die Liberalen um Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hatten dagegen bei sinkenden Infektionszahlen auf eine schnelle Aufhebung des monatelangen Lockdowns und eine flächendeckende Öffnung des Handels gedrungen.
Für Frank Brettschneider ist die Entscheidung schon so gut wie gefallen. Der Stuttgarter Parteienforscher rechnet trotz aller geäußerten Tendenzen zur „Ampel“ nicht mit einer grün-rot-gelben Regierungskoalition. Die sei für ihn „eine Überraschung“, sagte er. Thematisch gebe es zwar weder bei Grün-Schwarz noch bei einer Ampel unüberbrückbare Hindernisse. Aber bei einer grün-schwarzen Koalition stünden nach dem Abschied von Eisenmann auch Personalentscheidungen nicht mehr im Wege. „In einer Ampel wäre Kretschmann hingegen früher oder später der Schlichter zwischen den Fraktionschefs von FDP und SPD, Hans-Ulrich Rülke und Andreas Stoch“, sagte Brettschneider.
Außerdem sei die Distanz der FDP zu den Anhängern der Grünen nach wie vor sehr groß. „In der Wählerschaft gibt es insgesamt eher eine Sympathie für Grün-Schwarz. Eine Wechselstimmung nehmen wir nicht wahr.“ Und während FDP und CDU beim Thema Klimaschutz nicht weit voneinander entfernt seien, sei eine verlässliche Zusammenarbeit in der Corona-Politik mit der CDU unproblematischer als mit den Liberalen. Hinzu komme, dass die Grünen in einer Zweierkoalition mehr zu sagen hätten, sagte Brettschneider. „Man muss den Kuchen dann nur mit einem Partner teilen, nicht mit zwei anderen.“