München/Berlin – Jens Spahn hat gerade keinen leichten Stand. Impfprobleme, stockende Tests – als Gesundheitsminister ist er für all das verantwortlich, was den Deutschen zuletzt schwer auf die Nerven ging. In den Umfragen verliert der CDU-Mann an Rückhalt. Mit nur 31 Prozent Zustimmung fiel er auf den schlechtesten Wert seit Dezember 2018.
Es gab eine andere Zeit. Als man bei Corona noch an ein wässriges Bier dachte, stand der Name Spahn in der Politik für Tempo und Effektivität. Der Minister trieb die dicken Fische der Branche – Kassen, Ärzte, Kliniken – mit immer neuen Gesetzesvorstößen vor sich her. Opposition und Länder ächzten unter der Geschwindigkeit.
Im Mittelpunkt stand dabei immer wieder die Pflege. Fachkräftezuwanderung, Personaluntergrenzen, Mindestlohn – der Minister stieß Veränderungen an. Krönen sollte seinen Einsatz eine umfassende Reform zum Ende der Legislatur. Doch nun droht dieses Prestigeprojekt zu scheitern – und zwar auch am Widerstand aus Spahns Union.
Erst im November hatte Spahn die Eckpunkte seines Vorhabens formuliert. Ein Kernziel lag – neben einer besseren Bezahlung für Pflegekräfte – in der finanziellen Entlastung von Pflegenden und deren Angehörigen. Dazu wollte Spahn den Eigenanteil für die Unterbringung in einer stationären Einrichtung wie einem Pflegeheim deckeln. Für die reine Pflege sollten noch höchstens 700 Euro anfallen – für eine maximale Dauer von 36 Monaten.
Aktuell müssen Heimbewohner in Bayern alleine für die Pflege im Schnitt einen Eigenanteil von 985 Euro pro Monat bezahlen – oft mehr. Insgesamt beläuft sich der Eigenanteil sogar auf durchschnittlich 2078 Euro monatlich. Darin sind dann auch die Kosten für Verpflegung und Unterbringung sowie Ausbildungskosten berücksichtigt. Spahns Vorstoß kam da bei vielen gut an.
Doch schon im Frühjahr sah die Sache etwas anders aus. In einem Arbeitsentwurf aus dem Ministerium tauchte nun ein neues Stufenmodell auf. Demnach soll der Eigenanteil, der für die reine Pflege anfällt, nun nach mehr als einem Jahr im Pflegeheim um 25 Prozent abgesenkt werden, nach mehr als zwei Jahren um die Hälfte und nach mehr als drei Jahren um 75 Prozent. Für langjährige Heimbewohner könne das noch immer eine Entlastung um fast 600 Euro bedeuten, hieß es. Es hänge nun an Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und der Bundesregierung, „ob wir uns gemeinsam diesen Schritt noch zutrauen“, sagte Spahn. Kosten für das gesamte Reformpaket laut Entwurf: 6,3 Milliarden Euro jährlich.
Doch Scholz und die SPD sind nicht Spahns einziges Problem. Wie die Sozialdemokraten bemängelt auch die einflussreiche Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) – in deren Präsidium Spahn selbst Mitglied ist – einen entscheidenden Punkt des Konzepts. Niemand dürfe durch Pflege in Armut geraten, doch: „Wir wollen kein Erbenschutzprogramm für die Kinder vermögender Renter schaffen“, sagt Stephan Pilsinger (CSU) unserer Zeitung. Der Münchner Bundestagsabgeordnete leitet die Gesundheits- und Pflegekommission der MIT. Eine pauschale Deckelung der Eigenbeteiligung schaffe ein Gerechtigkeitsproblem, sagt er. Zudem erhöhe sie die Belastung für künftige Steuer- und Beitragszahlergenerationen. „Eine solche Vollkaskoversicherung wird in Zukunft nicht finanzierbar sein.“ Deshalb fordert Pilsinger neben einer differenzierteren Deckelungs-Variante Investitionen in die Tragfähigkeit des Systems. „Wir sind dafür, den Pflegevorsorgefonds aufzustocken und die private und betriebliche Vorsorge auszubauen, um auch für zukünftige Generationen von Pflegebedürftigen vorzusorgen.“
Ein Kompromiss muss her. Doch reicht die Zeit, um bis zur Bundestagswahl am 26. September neben der Krise auch die Widerstände beim Koalitionspartner und in den eigenen Reihen zu überwinden? Spahns Haus hält sich bedeckt. „Der Referentenentwurf für eine Pflegereform wird aktuell noch regierungsintern beraten“, teilt ein Sprecher unserer Zeitung mit. „Einen Zeitplan kann ich Ihnen daher nicht übermitteln.“